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Das Erlkönig-Manöver

Das Erlkönig-Manöver

Titel: Das Erlkönig-Manöver Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Löhr
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Holländer.
    »Seltsam«, entgegnete Goethe, »das hätte ich Sie auch sogleich gefragt.« Jetzt erst nahm er die Waffen herunter.
    Madame Botta hielt inzwischen ihre Spielkarten wie einen Fächer vor den Mund, und hinter diesem Schutz zog sie den Schleier wieder über ihr Angesicht.
    »Wo ist Santing?«, fragte Goethe. Seine Frage blieb unbeantwortet. »Sie können es nicht wissen, aber der Capitaine, der den Dauphin finden sollte, ist auf dem Weg hierher.« De Versay und Sophie Botta sahen einander ratlos an. »Nun stehen Sie schon auf!«, insistierte Goethe. »Es ist mein bitterer Ernst; Sie müssen um Ihr liebes Leben fürchten!«
    Aber statt de Versay oder Madame Botta antwortete ihm der leibhaftige Santing: »Das müssen sie nicht.« Goethe spürte den kalten Stahl einer Pistole im Nacken. Der Ingolstädter hatte sich in seinem Rücken unbemerkt an ihn herangeschlichen.
    Ohne dass ihn Santing darum bat, entspannte Goethe beide Pistolen und ließ sie auf den Teppich fallen, und auf ein Räuspern des Capitaines hin legte er auch die dritte Pistole und den Säbel dazu. Dann erst durfte er sich umdrehen, um in die Visage zu starren, die er zuletzt hinter Kimme und Korn hatte sehen wollen. In der einen Hand hielt Santing die Pistole und in der anderen, höhnische Trophäe, den elfenbeinernen Gehstock des gemordeten Sir William.
    »Sie sollten immer jemanden dabei haben, der Ihnen den Rücken freihält, Lieutenant Bassompierre.«
    Endlich rührte sich auch Sophie Botta. Sie wies auf die Sessel am Kamin und sagte mit müder Stimme: »Setzen wir uns.«
    Goethe sah von einem Akteur zum anderen, und als er endlich begriffen hatte, dass er der Einzige im Raum war, den Santing bedrohte, und dass es wiederum die Französin war, die Santing Befehle erteilte, überkam ihn eine ohnmächtige Wut.
    »Das ist nicht wahr«, sagte er. »Sagen Sie mir in Got tes Namen, dass ich träume.«
    »Setzen Sie sich, Herr von Goethe«, sagte Madame Botta.
    »Erst sagen Sie mir, ob Sie mit den Bonapartisten unter einer Decke stecken. Und wenn die Antwort mir den Schädel sprengt.«
    »Es ist umgekehrt. Wir sind nach wie vor treue Royalisten. Es ist Herr Santing, der seine Zugehörigkeit gewechselt hat. Er arbeitet jetzt für uns.«
    »Das will mir schier –! Seit wann?«
    »Seit mein Kommando, den Dauphin lebend oder tot nach Frankreich zurückzubringen, gescheitert ist«, antwortete Santing. »Napoleon zeigt bekanntlich wenig Gnade für die, die ihn enttäuschen. Fraglos wären ein Sandhaufen und zwölf Kugeln mein Lohn gewesen. Ich wäre nicht der Erste. Ich hatte also keinen Grund, wieder nach Mainz und in die französische Armee zurückzukehren.«
    »Aber Sie sind Bonapartist!«
    »Ich bin Soldat, Herr Hofrat, kein Parteigänger. Wes Brot ich ess, des Lied ich sing.«
    »Herr Santing war vorausschauend genug, uns aufzu spüren und seine Dienste anzubieten – und wir so vor ausschauend, dieses Angebot anzunehmen«, erklärte Sophie Botta. »Wer könnte uns eine größere Hilfe beim Kampf gegen Napoleon sein als ein Capitaine Napoleons? – Und nun, zum dritten Male, bitte setzen Sie sich. Sie sehen hundemüde aus, wenn mir diese Bemerkung erlaubt sei.«
    Goethe setzte sich nun endlich zu Madame Botta und Graf de Versay, und hätte ihm gegenüber nicht Santing gesessen, das geladene Terzerol auf ihn gerichtet, man hätte die Szene für ein Kamingespräch unter Freunden missverstehen können. De Versay klingelte sogar noch nach einem zweiten Diener, um zur späten Stunde Kaffee zu servieren. Bei der Gelegenheit wurde auch der Nie dergeschlagene in der Küche aufgefunden und erweckt.
    Goethe wollte wissen, ob sich auch Karl im selben Gebäude aufhalte, aber der, so vertraute ihm Madame Botta an, sei längst unterwegs nach Mitau, wo er vor den Nachstellungen Bonapartes noch sicherer sei als hier, in ihrem Versteck in der thüringischen Provinz.
    »Und Friedrich von Schillers Drama?«
    »Befindet sich bei uns, ja, in der Obhut des Grafen de Versay.«
    »Haben Sie es gelesen?«
    »Ja.«
    »Und hat sich der Diebstahl gelohnt?«
    »In der Tat. Missverstehen wir uns nicht: Ich spreche nicht von ästhetischen Dingen. Darauf verstehe ich mich nicht. Aber meine Befürchtung, Ihr Freund würde die … Angelegenheit damit an die Öffentlichkeit bringen wollen, hat sich bestätigt. Deswegen wird außer mir niemand dieses Werk zu Gesicht bekommen.«
    »Sie übertreiben zweifellos. Es ist ein Drama, keine Enthüllung. Ich bin mir sicher, Friedrich hat

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