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Das Erlkönig-Manöver

Das Erlkönig-Manöver

Titel: Das Erlkönig-Manöver Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Löhr
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lassen.«
    Wiewohl diese überraschende Ermahnung in mangelhaftem Französisch geäußert wurde, verschaffte sie doch Respekt. Der Sergeant las das Diplom durch, das tatsächlich Schiller – oder vielmehr »Monsieur Gille, Publiciste allemand« – als Ehrenbürger der Französischen Revolution auswies. Mehr noch als der Titel beeindruckten jedoch die Namen der Unterzeichner: allesamt Helden der Revolution, allesamt lange selbst enthauptet. Die Urkun de las sich wie ihr Testament.
    Dann geschah alles sehr zügig: Der Sergeant reichte Schiller das Ehrenbürgerdiplom und die Passierscheine zurück, wies seine Soldaten an, die Waffen sinken zu lassen, und bat die fünf Bürger um Vergebung für ihren ruppigen Umgang – aber der Hunsrück sei in diesen unruhigen Zeiten nun einmal heimgesucht von Subjekten – ein Blick auf die beiden Sträflinge –, die es ausfindig und dingfest zu machen gelte. Die Hand am Zweispitz, wünschte er ihnen eine angenehme Weiterreise und viel Glück bei den Basalten. Dann machten sich die Franzosen mit ihren Gefangenen ihrerseits auf den Weg nach Stromberg. Ungläubig sahen die Gefährten ihnen nach.
    Arnims Kopf war noch immer hochrot, außer sich vor Wut über die Willkür und Impertinenz der Franzosen. Bettine sprach leise auf ihn ein und bedankte sich für seinen mutigen, wenn auch leichtsinnigen Einsatz.
    Goethe betrachtete derweil Schillers Urkunde und gab sie danach in die Runde. »Da brat mir einer einen Storch – sogar Danton hat unterzeichnet, Gott hab ihn selig. Unsre Retter kommen aus dem Reich der Toten!«
    »Warum haben Sie nicht gesagt, dass Sie Ehrenbürger der Revolution sind?«, fragte Humboldt.
    »An diesem Schriftstück klebt das Blut der Guillotine. Ich wollte es nach dem Tod Ludwigs XVI. eigentlich zerreißen.«
    »Wie gut, dass Sie es damals heil gelassen haben. Die Neufranken mögen zwar inzwischen ein Kaiserreich haben, aber die Revolutionäre der ersten Stunde sind ihnen heilig.«
    Nun endlich verließen die fünf Jakobinerbaum und Straße, überquerten den Bach und verschwanden im gegenüberliegenden Wald. Arnim summte unterwegs un willkürlich die Marseillaise, und als es ihm bewusst wur de, lachte er und sagte: »Was für ein fataler Ohrwurm dies revolutionäre Te Deum doch ist!«
    »Heißt es denn wirklich Contre nous de la tyrannie ?«, fragte Schiller. »Hieße das dann nicht … Gegen uns die Tyrannei? Das ergibt doch keinen Sinn.«
    »Gleichviel. Ein hübsches kleines Liedchen.«
    Humboldt führte wie immer den Weg voran, den Kompass in der einen, die Machete in der anderen Hand. Goethe war in Gedanken, und mehr zu sich als zu Humboldt murmelte er: »Die Reverenz zu machen einem hohlen Hut – das war doch wirklich ein närrischer Befehl.«
    »Warum nicht einem hohlem Hut?«, fragte Humboldt. »Wir bücken uns doch auch vor manch hohlem Schädel.«

    Die Nacht versprach klar und kalt zu werden, und umso dankbarer war das Quintett, als Humboldt etwa eine Mei le vorm Ellerbachtal am Wegesrand eine verlassene Glashütte entdeckte, die aus einem großen Hof und mehreren kleinen Hütten bestand. Alle Gebäude waren niederge brannt und eingestürzt. Schwarz standen die öden Fens terhöhlen, und längst hatte der Wald das Menschenwerk zurückerobert: Eppich bedeckte die Mauern, und im Schatten der großen Bäume trieben Schösslinge aus den geborstenen Böden. Nur ein kleines Häuschen abseits schien unbeschädigt. Als Humboldt die Tür aufstemmte, sahen sie in den öden Innenraum, in dessen Mitte ein großer Glasofen mit eiserner Esse stand. Der Fußboden war bedeckt mit Staub und Schmutz, einigen Scherben und Vogelfedern. Die Fensterscheiben hatte man aus den Rahmen entfernt, aber die Wände und das Dach waren noch dicht.
    »Raum ist in der kleinsten Hütte«, sagte Schiller.
    Indes die einen den gröbsten Schmutz zur Seite kehrten und Decken und Felle vor den offenen Fenstern und auf dem Boden ausbreiteten, suchten die anderen nach Brennholz. In der nächtlichen Dunkelheit fürchtete sich Bettine vor Räubern, denn schließlich hatten in diesen Wäldern der Schinderhannes und der Schwarzpeter ihr Unwesen getrieben, aber bis auf ein Reh, das durchs Unterholz sprang, blieb der winterliche Wald leer. Nachdem Arnim ein verwaistes Vogelnest vom Schornstein genommen hatte, machten sie im alten Ofen Feuer, und mit einem Male wurde es behaglich in der Glasbläserhütte. Die Wanderer walkten sich die wunden Füße und teilten ihren Proviant: Brot und Göttinger

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