Das Erlkönig-Manöver
lähmt.«
»Ich jedenfalls kehre nicht mit leeren Händen nach Deutschland zurück«, sagte Bettine. »Wir haben die Überraschung auf unsrer Seite. Ich sage: Es wird gelingen. Wir befreien Louis-Charles.«
»Auch ich will sein Leben retten, Bettine, aber nicht um den Preis eines der unsern«, erwiderte Goethe.
»Ich bin der gleichen Meinung wie Herr von Goethe«, sagte Humboldt.
Bettine sah sich um, und ihr Blick blieb an Arnim haften. »Was sagst du, Lieber? Willst auch du unverrichteter Dinge heimkehren und dem Satan Napoleon eine weitere arme Seele überlassen? Oder willst du ein Held sein, der der Gefahr ins Gesicht lacht, um andre zu retten?«
»Ich kämpfe«, sagte Arnim mannhaft. »Ich lasse mich nicht durch die Courage eines Weibes beschämen.«
»So kenne und so liebe ich meinen Achim.«
»Also steht es zwo gegen zwo«, sagte Goethe, und an Schiller gewandt: »Guter Freund, Sie sind, scheint’s, in diesem Conseil das Zünglein an der Waage. Was sagen Sie: Angriff oder Rückzug?«
Schiller sah einer blauen Knasterwolke nach, bevor er sprach. »Angriff. – Mut, sag ich! Mut! Dem Mutigen hilft Gott. Ich fühle, dass wir …«
»Verfolgt werden?«
»Nein, zum Kuckuck. Ich fühle, dass wir gewinnen werden.«
Goethe nickte. »Drei zu zwo, somit ist es beschlossen: Wir bieten morgen den Franzosen die Stirn. Ich bin dankbar, dass Sie mir diese Entscheidung abnehmen. – Ich habe indes einen Plan für den Überfall ersonnen, und es würde mich freuen, wenn er Ihre werte Zustimmung fände.« Er erhob sich, und mit dem Stiefel befreite er den Waldboden von totem Laub. Mit einem Stock ritzte er zwei parallele Linien in die Erde. »Dies ist die Chaussee nach Mainz. Wir werden sie hinter Sobernheim attackieren, in einem Waldstück.« Dann las er eine Schieferplatte und mehrere Tannenzapfen auf und arrangierte sie auf der kleinen Straße. »Dieser Schiefer ist die Kutsche, und diese Tannzapfen sind die Gardisten. Einer auf sowie zwo vor und zwo hinter der Kutsche, nehme ich an?« Humboldt nickte. Zuletzt setzte Goethe fünf Eicheln, die er am Vormittag gesammelt hatte, in sein Modell: zwei hinter dem Tross, zwei auf der gescharrten Linie und ei ne abseits im Laub, das den Wald neben der Chaussee darstellte. »Dies sind wir: Herr von Arnim und Herr von Humboldt hinten, hier Bettine und ich und dort im Gehölz Herr Schiller.«
»Und dieser Stein?« fragte Arnim und zeigte auf einen Stein hinter der Eichel, die ihn repräsentierte.
»Ist ein gewöhnlicher Stein und spielt in unsrer Geschichte keinerlei Rolle.«
»Kann ich die Bettine-Eichel austauschen? Sie ist schmutzig und hat eine unschöne Form«, sagte Bettine.
»Sicherlich.«
»Dann sähe ich mich gern durch einen Bolzen dargestellt«, sagte Schiller und stach einen Armbrustbolzen ins Laub, nachdem er die Eichel entfernt hatte.
Arnim stellte seine Eichel aufrecht, dass das Hütchen obenauf saß. »Darf ich den Stein entfernen? Er beunruhigt mich, so geradezu in meinem Rücken.«
»Bitte. Wenn wir dann die Dekoration abgeschlossen haben, würde ich gern meine Idee erläutern.«
Goethe und Bettine sollten sich am Wegesrand aufhalten und ihrerseits die Opfer eines Überfalls von Banditen markieren. Wenn alles nach Plan verlief, würde einer der vorderen Reiter absteigen, oder beide, und nach dem Rechten sehen. Dort würden die beiden sie mit verborgenen Waffen erwarten. Von hinten würden dann Humboldt und Arnim aus dem Unterholz brechen, um die hinteren Gefolgsleute in Schach zu halten. Schiller schließlich sollte von einem Baum oder einer hohen Stelle aus den Überfall beaufsichtigen und den Kutscher im Auge behalten und gegebenenfalls den Soldaten, sollte einer sich widersetzen und zur Waffe greifen, einen gezielten Bolzen verpassen.
»Ich hoffe, dass kein Blut vergossen wird«, sagte Goe the abschließend, »aber wenn –«
»– dann ausschließlich französisches«, beendete Ar nim den Satz. Goethe nickte.
»Baff! liegt der Marder – und wir haben das Huhn!« frohlockte Schiller, als er seinen Armbrustbolzen wieder aus dem Boden zog, »die Idee ist kühn, und ebendarum, glaub ich, gefällt sie mir.«
Hierauf zogen sich die fünf zurück in ihre Hütte, doch an Schlaf war lange nicht zu denken. Allein Humboldt schlief, sobald er sich zugedeckt hatte, der Garant dafür, dass sie morgen zeitig geweckt würden.
Vor Sonnenaufgang hatten sie sich rechts und links des Weges eingerichtet: dort, wo die Straße von Sobernheim durch ein Waldstück
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