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Das Erlkönig-Manöver

Das Erlkönig-Manöver

Titel: Das Erlkönig-Manöver Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Löhr
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Würste. Man setzte einen Topf aufs Feuer, um Tee zu kochen. Goethe ließ ein Fläschchen Branntwein kreisen. Schiller schließlich nahm einen bestickten ledernen Tabaksbeutel und seine Pfeife hervor, bis ihn die anderen baten, den übelriechenden Frankfurter Knaster vor der Tür aufzuschmauchen. Von draußen hörten sie ihn bisweilen husten.
    Humboldt war, als Schiller zurück in die Hütte trat, bereits wieder eingeschlummert. Nun wollten es ihm die anderen gleichtun, und Goethe bat Arnim, aus seiner vorzüglichen Sammlung von Volksliedern eine Weise zur guten Nacht zum Besten zu geben. Obzwar das Lob ihn freute, genierte sich Arnim eine Weile, sang dann aber schließlich mit heller Stimme Liegst du schon in sanfter Ruh, und mit diesem Heiapopeia schliefen sie ein, Arnim und Goethe nahe dem Ofen, Bettine zwischen ihnen, Humboldt am Fenster und Schiller wie ein wachender Hund nahe der Tür.

    Schiller erwachte am nächsten Morgen vom Klappern des Topfes, mit dem Goethe auf dem wieder angefachten Feuer hantierte. Arnim und Bettine schliefen noch, Ar nim mit gerunzelter Stirn und Bettine mit dem Rücken zu ihm.
    Humboldt war fort. Goethe erklärte, dass er die Hütte noch vor Tagesanbruch verlassen hatte, um mit Goethes Erlaubnis zur Straße aufzubrechen. Dort wollte er sich nach Madame de Rambaud und ihrem Geleit umhören. »Er ist ein rechter Lederstrumpf, ein Waldläufer, ein Indianer«, schwärmte Goethe. »Beschweren Sie sich nicht noch einmal, dass wir ihn mitgenommen.«
    Ehe Humboldt nicht zurück war, wollten auch die Übrigen nichts unternehmen, und so konnten sie die Zeit erstens für ein langes Frühstück nutzen und zweitens dafür, sich mit ihren Waffen vertraut zu machen. Während Schiller mit seiner Armbrust einige Bolzen auf einen toten Baum abschoss, erklärte Goethe Arnim und Bettine, wie ihre Pistolen zu laden und abzufeuern seien. Überaus anstellig war Bettine im Gebrauch des Hirschfängers, jener spannlangen Klinge, die sie bald zielsicher zwischen Schillers Bolzen in die Rinde des Baumes schleuderte. Während die anderen das Laden und Zielen übten, ohne aber zu schießen, um Kugeln und Pulver zu sparen und ihr Zugegensein nicht zu verraten, lief Goethe zwi schen den Ruinen auf und ab, die Hände hinter dem Rü cken verschränkt. Später nahm er auf einigen der zerborstenen Steine Platz wie auf einer Chaiselongue und betrachtete die Übungen seiner Gefährten.
    Erst in der Dämmerung kehrte Humboldt zurück über den verwilderten Pfad, der einst die Straße von der Glashütte ins Tal gewesen war.
    »Spät kommen Sie, doch Sie kommen«, empfing ihn der ungeduldige Schiller.
    »Ich komme nicht mit leeren Händen.«
    Humboldt war bis zur Chaussee gelaufen und hatte sich im ersten Weiler nach der Kutsche aus Paris erkundigt. Doch dort konnte sich niemand erinnern, eine französische Equipage gesehen zu haben. Also wanderte Humboldt weiter nach Westen, bis ins Dorf Sobernheim, und als auch hier keiner über den gesuchten Transport Auskunft geben konnte, wartete er nahe der Poststation. Dort traf am späten Nachmittag eine Kalesche ein, und Humboldt wusste sofort, dass sich das Kindermädchen des Königs darin befand. Die Dame und ihre Begleiter nahmen in der Herberge Quartier. Humboldt zählte einen Kutscher und vier berittene Gardisten, und diese Zahl bereitete Goethe Kopfzerbrechen.
    »Fünf Soldaten. Ich gestehe, ich hatte mit zweien, höchstens dreien gerechnet. Diese Affäre scheint von äußerster Wichtigkeit für Napoleon, wenn er gleich fünf seiner Soldaten dafür abkommandiert.«
    Die Runde, die sich vor der Hütte auf einem umge stürzten Baumstamm und dem Boden niedergelassen hat te, schwieg betreten. Schließlich rührte sich Schiller: »Was tun?, spricht Zeus.«
    Goethe seufzte. »Es täte mir leid, diesen beschwerlichen Weg umsonst gemacht zu haben und den Dauphin im Stich lassen zu müssen – unter den gegebenen Umständen kann ich es jedoch nicht verantworten, dass wir den Angriff wagen.«
    Protest erhob sich darob, aber Goethe sagte: »Bedenken Sie, meine Freunde: fünf Soldaten der besten Armee der Welt – gegen ebenso viele Zivilisten, darunter eine Frau und ein alter Mann.«
    »Du bist kein alter Mann!«, rief Bettine.
    »Ich sprach von Schillern.«
    Schiller, der sich inzwischen wieder die Tabakspfeife entzündet hatte, lächelte milde. »Auch jetzt um keinen Scherz verlegen, Herr Geheimrat? – Wir sprechen uns wie der, wenn erst bleiche Furcht Ihr graues Antlitz

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