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Das Erlkönig-Manöver

Das Erlkönig-Manöver

Titel: Das Erlkönig-Manöver Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Löhr
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jeune Werther . Er hat es siebenmal gelesen.«
    »Tatsächlich. Der Werther ist von Ihnen?«
    »Höchstselbst.«
    »Wenn der Werther von Ihnen ist, muss ich Sie umso mehr erschießen.«
    »Missfiel er Ihnen etwa?«
    »Ich habe ihn geliebt, maître . Aber mir missfiel das Ende. Der Werther hätte sich bei mir nicht erschossen. Ich habe um ihn geweint. Wäre Werther ein Franzose gewesen, ciel! , er hätte weiter um Lotten gekämpft, ob sie nun einem anderen gehörte oder nicht. Es hätte ihn viel eher herausgefordert, um eine vermählte Frau zu kämpfen.«
    »Nun, das handhaben unsre Nationen offensichtlich unterschiedlich.«
    »Genug geplaudert. Legen Sie endlich Ihre Waffen nieder.«
    »Warum wir? Sie haben einen Gefangenen, wir aber fünf.«
    »Gut: Einigen wir uns darauf, dass wir danach getrennte Wege gehen.« Als Goethe nichts erwiderte, fügte der Lieutenant hinzu: »Ich gebe Ihnen mein Ehrenwort als Offizier, dass Sie gehen dürfen, sobald Sie entwaffnet sind.«
    Nun legte Bettine ihre Waffen nieder, und die Männer folgten ihrem Beispiel. Der Lieutenant nickte seinen Leuten zu, worauf diese sich wieder bewaffneten. Aber er gab Goethe nicht frei.
    »Und nun fesselt sie«, sagte er. »In Mayence sind für diese Ganoven sicher noch ein paar Kerker frei.«
    »Dass dich die Pestilenz!«, wetterte Goethe, »Sie ga ben uns Ihr Wort!«
    Der Lieutenant grinste. »Nun, das handhaben unsre Nationen offensichtlich unterschiedlich.«
    Auf einmal aber fiel im nächsten Busche ein Schuss. Blut spritzte aus der Stirn des Lieutenants. Sein Kopf wurde so heftig nach hinten geworfen, dass er das Fenster der Kutsche zertrümmerte. Zwischen Goethe und der Kutsche sackte sein Körper zu Boden, die Pistole bis zuletzt fest im Griff, und die Scherben prasselten auf ihn nieder. Ein Soldat feuerte vorschnell eine Kugel in den Wald ab, wo er den Schützen vermutete, und lakonisch antwortete ihm ein zweiter Schuss, der ihm dicht unter dem Brustknochen den Leib durchbohrte.
    Der Kutscher und ein weiterer Kamerad sprangen hinter die Kutsche in Deckung. Einem Franzosen, der ebenfalls schießen wollte, entwand Arnim die Muskete, und mit einem Kolbenschlag ans Kinn streckte er den Mann in den Sand.
    »Kapituliert, Franken, oder sterbt!«, donnerte eine Stimme aus dem Gehölz. Eine dritte Kugel zerschmetter te die gläserne Laterne auf der Kutsche. Darauf kamen die beiden Franzosen von hinter der Kutsche hervor. Bereitwillig gaben sie ihre Waffen ein zweites Mal aus der Hand. Der Verwundete war neben dem Niedergeschlage nen zu Boden gegangen und hielt sich die durchschosse ne Brust. Zwischen seinen Fingern rann das Blut hervor.
    Die Blicke von Deutschen wie Franzosen waren auf das Waldstück gebannt, aus dem die Kugeln gekommen waren. Nun trat der geheimnisvolle Schütze selbst zwischen den Bäumen hervor. Es war kein Geringerer als der preußische Leutnant mit dem kindlichen Gesicht, den sie auf dem Frauenplan zuletzt gesehen hatten. In beiden Händen hielt er eine Pistole, in deren Griffstücke zwei jagende Hunde eingraviert waren. Der lange Lauf der einen Pistole dampfte noch im kalten Regen.
    »Dies soll der erste Atemzug der teutschen Freiheit sein«, sagte er mit einiger Befriedigung.
    »Sie?«, fragte Goethe.
    »Bei der Feueresse des Plutos!«, zischte Schiller. »Ich wusste doch, dass man uns folgte!«
    »Herr Geheimrat, meine Dame, meine Herren: Ich hoffe, ich komme nicht ungelegen.«
    »Was in drei Teufels Namen machen Sie hier?«
    »Sie schulden mir noch ein Urteil über mein Lustspiel, erinnern Sie sich? – Fesselt die Kerls, eh sie aufmucken.«
    Die anderen waren viel zu überrascht, als dass sie dem Befehl nicht hätten folgen mögen. Mit Seilen banden sie die fünf Soldaten. Der ehemalige Regimentsarzt Schiller, der in weiser Voraussicht ein ledernes Täschchen mit dem notwendigsten medizinischen Gerät und einigen Tinkturen mitgenommen hatte, sah nach der Wunde des angeschossenen Franzosen. Arnim und Bettine öffneten nun die Kutsche an der unversehrten Seite. Agathe-Rosalie de Rambaud, ein Frauenzimmer von etwa vierzig Jahren, war infolge der Aufregung ohnmächtig auf der Bank zusammengesunken. Die beiden trugen sie an die frische Luft, wo der Regen sie alsbald weckte. Sie redeten wechselweise beruhigend auf sie ein. Bald kehrte wieder Farbe in ihr rundes Gesicht zurück, und das Zittern ihrer Hände schwand. Mit viel höflichem Betragen und einem Schluck Branntwein flößten sie ihr das Vertrauen ein, dass man ihr nichts

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