Das Erlkönig-Manöver
Böses wolle.
Goethe bemerkte derweil, dass einige Tropfen vom Blut des Lieutenants an seiner Schläfe klebten. Der Todesschütze reichte ihm lächelnd ein Taschentuch.
»Sie hätten mich treffen können«, bemerkte Goethe.
»Ist das ein Dank? – Wenn ich Sie hätte treffen können, seien Sie versichert, ich hätte nicht geschossen.«
»In diesem Fall danke ich Ihnen, junger Mann. Dank auch für Ihr Schnupftuch. Ich werde es bei Gelegenheit reinigen und retournieren.«
Schiller trat zu den beiden, nachdem er das Notwendigste für den Franzosen getan hatte, und reichte dem Preußen die Hand. »Donner und Doria! Das war ein Schuss! Das war ein Heldenstück, Herr …«
»… von Kleist. Euer Exzellenz gehorsamster Heinrich von Kleist, aus Frankfurt.«
»Frankfurt?«, fragte Goethe.
»Oder.«
»Oder was?«
»Frankfurt an der.«
»Aha.«
»Und willens und bereit, mich und diese zween Donnerkeile« – er zog seine Pistolen – »vollständig in den Dienst Ihrer Sache zu stellen.«
»Wissen Sie denn, was unsre Sache ist?«
»Die ganze welsche Brut, die sich in den Leib Germaniens eingefilzt hat wie ein Insektenschwarm, durch das Schwert der Rache auszumerzen.«
Heinrich von Kleist sah zu dem Lieutenant hinüber, der im Schatten der Kutsche in Morast, Scherben und im eigenen Blute entkräftet auf dem Rücken lag und der das erste Opfer dieser Rache war. Die anderen folgten Kleists Blick, und erst jetzt sahen sie, dass der Lieutenant noch nicht tot war: Das Blut lief, und er holte noch immer Atem. Schiller hockte sich sofort zu dem Unglücklichen nieder. Über dem rechten Auge war er durch den Kopf geschossen, das Gehirn war herausgetrieben. Die Lunge röchelte noch fürchterlich, bald schwach, bald stärker.
Schiller richtete sich wieder auf. »Es gibt für ihn keine Rettung«, sagte er leise zu den anderen. »In wenigen Augenblicken ist sein Schicksal erfüllt. Dies Zucken noch, und dann wird’s vorbei sein.«
»Was können wir also tun?«
»Ihn als gute Christenmenschen von seinen Leiden befreien.«
»Das Blei zu schade«, sagte Kleist.
»Ein Stich ins Herz«, schlug Schiller vor.
»Ein Fest für die Gewürme.« Kleist zog seinen Säbel blank. »Darf ich zu Ende bringen, was ich angefangen?«
Goethe nickte. Kleist trat an den regungslosen Körper heran. Das Gesicht des Lieutenants war schon wie das eines Toten. Er rührte kein Glied, aber aus seinen Augen sprach, dass er sein Ende erwartete.
Kleist hob die Klinge und sagte auf Französisch: »So fahr zur Hölle hin, woher du kamst.«
»Halt!«, rief Goethe. »Das ist kein Grabspruch für einen Christenmenschen, sei er nun Franke oder nicht. Immerhin war er ein Freund meines Werkes.«
Kleist ließ seinen Säbel sinken. Dann sagte er, wieder in der Muttersprache des Sterbenden: »Ruhe sanft. Der Allmächtige erbarme sich deiner Seele und schenke dir ewigen Frieden. – Tue ich Sünde, so mag sie mir Gott verzeihen.« Mit diesen Worten trieb er die Spitze seines Säbels in den Leib des Franzosen. Es war sofort aus.
Endlich stellte sich Kleist auch den anderen Gefährten vor, die ihn offenherzig begrüßten. Goethe drängte indes zur Eile; sie mussten die Straße verlassen, ehe andere Reisende oder gar französische Patrouillen des Wegs kamen. Sie befehligten ihre Gefangenen in die Kutsche und hoben den toten Lieutenant auf die hintere Ablage. Arnim und Bettine kletterten auf den Kutschbock, die Amme des Königs zwischen sich. Die anderen schwangen sich in die Sättel der Pferde, und auf ging es die alte Straße hoch zur Glashütte im Wald. Arnim sakramentier te über den Regen, der ihm das Zündkraut in der Pistole verdorben hatte, ein Umstand, der ihm beinahe zum Verhängnis geworden wäre. Auch die Stimmung der übrigen Gefährten war gedrückt, waren sie doch nur knapp der Katastrophe entgangen und hatte ihr Überfall doch das Leben eines Menschen gekostet. Leise fragte Schiller, ob ihr Auftrag nicht schon jetzt als gescheitert gelten muss te; jetzt, da sie einen Menschen hatten töten müssen, um einen anderen zu retten.
Insbesondere Humboldt aber war den Weg über zerknirscht, gab er sich doch die Schuld am Fehlschlag ihres ursprünglichen Plans, da er an der Poststation in Sobernheim nur fünf, nicht sechs Männer gezählt hatte. Goethe tat Humboldts Reue ab: Er hätte schließlich bislang mehr als alle anderen für ihre Unternehmung geleistet und sol le sich daher nicht von seinem Gewissen plagen lassen. Humboldt bedankte sich ausgiebig
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