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Das Erlkönig-Manöver

Das Erlkönig-Manöver

Titel: Das Erlkönig-Manöver Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Löhr
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spaltete dieser ein Brett mit der Axt, während jener ein anderes hobelte. Sie hatten hinter einem Holzstapel Werkzeug aufgetan und damit einen veritablen Sarg gezimmert, von dem nur noch der Deckel fehlte.
    Arnim wischte sich den Schweiß von der Stirn. »Wir sparen die Taler und die Aufregung, die uns der Kauf eines Sarges zweifellos kosten würde«, erklärte er. »Und wo sollte es sich besser tischlern lassen als im Haus des größten aller Tischler.« Goethe trat an den Totenschrein heran und bürstete einige Späne vom Holz. Arnim schau te ihm über die Schulter. »Sollen wir noch einige für uns zimmern?«
    Der Ältere tadelte diesen Scherz mit einem gestrengen Blick, sagte aber nichts.
    Nahe dem Chor saß Bettine, wo sie zahlreiche Röcke, Hauben und Schals, die sie gekauft hatte, miteinander verglich, um darunter die Kombination herauszufinden, die sie am ehesten um einige Jahre älter aussehen lassen würde. Schon jetzt hatte sie die Haare grau gepudert und ein Übermaß an Wangen- und Lippenrot aufgetragen, wie es betagte Frauen zu tun pflegen in der irrigen Annahme, es würde sie verjüngen.
    Unaufhaltsam schritt der Tag voran, und je näher der Abend rückte, desto aufgewühlter wurden die Jüngeren unter den Gefährten, derweil Goethe und Schiller von einer fast schon traurig zu nennenden Ruhe erfasst wurden. Die restlichen Pferde und die Kutsche wurden von der Garnison in den Innenhof der Kirche gebracht. Dort verstauten sie die beiden Pulverfässer unter der rückwärtigen Bank und versahen sie mit einer doppelten Lunte. Der Sarg fand, sobald er fertiggestellt war, auf der Ablage im Rücken der Kutsche Platz. Ihr restliches Gepäck wurde im Innern verstaut.
    Die Musketen wurden geputzt und nach Leutnant Kleists Anleitung mit Pulver und harmlosen Stopfen aus Papier geladen. Einige der Gefährten wuschen sich noch ein letztes Mal, bevor sie wieder in die Röcke der Nationalgarde schlüpften. Hinter dem Haufen sakralen Gerümpels kniete Arnim nieder und sprach ein stilles Gebet. Schiller verabschiedete sich im Namen der anderen von Madame de Rambaud und dankte ihr dafür, dass sie ihnen trotz ihrer Einwände eine umgängliche Gefangene gewesen war, und versprach ihr, Louis-Charles’ Leben zu schützen. Sie sollte sich noch in selbiger Nacht, wenn alles vorbei war, bei der Präfektur melden, um selbst schuldlos zu bleiben, und der Obrigkeit den Aufenthaltsort der echten Gardisten im Soonwald zu nennen.
    In der Dämmerung nahmen sie schweigend eine Mahlzeit ein. Brot und Schinken fanden kaum Freunde, der Wein jedoch war bald geleert. Schiller lächelte aufmunternd in die Runde. »Der Tat bedarf’s jetzt, Kühnheit muss entscheiden. Und wer fürchtet, es könne ihm an Mut gebrechen, den bestärke ich: Der Mut wächst mit der Gefahr, und die Kraft erhebt sich im Drang!« Dann warf er sich die Mönchskutte über seine Uniform der Nationalgarde. Er musste als Erster aufbrechen, um den königlichen Gefangenen in ihren Plan einzuweihen. Den Säbel hatte er abgelegt, den Zweispitz in den Gürtel gesteckt. »Eh wir scheiden, lasst uns den heldenmütigen Bund durch eine Umarmung beschwören.« Sie schlossen um Schiller einen Kreis mit verschränkten Armen. »Ich nehme keinen Abschied von Ihnen, denn wir sehen uns bereits in zween Stunden wieder: Ihr mit dem wohlbehaltenen Dauphin, ich als Schwager der Kutsche, mit der wir fliehen. Und dann verlassen wir dieses Land, wo man der Völker Recht mit Füßen tritt. Wir werden vor Mitternacht noch über den Grenzen sein, und, Potztausend!, danach die erste Runde geht auf mich!«
    Schiller streckte den rechten Arm vor sich aus, die Handfläche einladend nach oben gerichtet. Nacheinander legten Kleist, Arnim, Bettine, Humboldt und schließlich Goethe ihre Hände hinzu, sodass Schiller alle fünf Hände in der eigenen hielt. Er ließ den Blick in der Runde kreisen und sprach: »Ich fühle eine Armee in meiner Faust.«
    Goethe geleitete Schiller aus der Kirche hinaus auf den Hof. Noch immer war der Nebel nicht vollends verschwunden. »Das war eine kurze, aber eindrucksvolle Ansprache, für die ich Ihnen danke, mein Freund. Selbst ich fühle junges Lebensglück mir glühend durch Nerv und Adern rinnen. Sie sollten General werden oder Priester.«
    »In meinem nächsten Leben vielleicht.«
    »Das hoffentlich so bald nicht beginnt. Geben Sie gut auf sich acht.«
    »Und Sie auf sich und auf die jungen Burschen. Leben Sie wohl.«
    »Wie oft haben wir das nicht schon

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