Das Erlkönig-Manöver
aufgebrochen, andere nass geworden, aber Kleist fand auch zwei unversehrte, die er, eines nach dem anderen, zurück zum Ausstieg trug, wo sie Humboldt am Seil ins Freie zog.
»Das Pulver darin reicht, die ganze Stadt wegzufressen«, sagte Kleist, als er den Fässern gefolgt war, »mit Hund und Katzen hin!«
»Haben Sie vielen Dank für Ihre Mühen«, sagte Goethe. »Jetzt schnell das Loch wieder geflickt und dann zurück in unsern hölzernen Unterschlupf.«
Nachdem sie den Krater wieder mit Planken und Steinen versiegelt und die Fässer an die Sättel gebunden hatten, ließ Humboldt den Wasserschlauch kreisen.
Goethes Blick schweifte in die Ferne. »Was hier für Schlachten getobt haben«, sagte er kopfschüttelnd. »Wo sich heut dieser langweilige Ackergrund vor uns ausbreitet, lagen damals die Leichen unsrer Infanteristen im wunderlichen Kontrast mit den zerlumpten Ohnehosen. Der Tod hatte sie ohne Unterschied hingemäht, und die Pflanzen tranken noch Tage später ihr Blut. – Nach der Kapitulation wollte der Pöbel dort drüben, an der Chaussee, einen Jakobiner aufknüpfen, dem der preußische König eigentlich freies Geleit versprochen hatte. Das Volk war irre vor Rachesinn; Schimpfreden und heftige Drohungen wurden ausgestoßen – ›Haltet ihn an! Schlagt ihn tot!‹ –, und eh ich mich versah, rief ich laut und heftig: ›Halt!‹ Die vollkommenste Stille trat ein. Ich fuhr darauf fort: Der Klubist stehe unter Serenissimi Schutz, und ihr Unglück und ihr Hass gebe den Menschen kein Recht zu Gewalttätigkeit. Die Strafe der Verbrecher solle man Gott und seinen Oberen überlassen. Als das Volk zurücktrat, wollte mir der Klubist danken, aber ich sagte ihm, dass ich nur meine Schuldigkeit getan und die Ordnung bewahrt hätte.«
»Welche Fliege stach Sie?«, fragte Kleist. »Sie haben sich in einen Handel eingelassen, der für sie übel hätte ausgehen können.«
»Es liegt nun einmal so in meiner Natur, ich will lie ber eine Ungerechtigkeit begehen als Unordnung ertragen.«
»Ob Sie es wollten oder nicht, Sie haben sich damit als Freund der Revolution hervorgetan«, sagte Humboldt zögerlich.
»Nimmer! Ich bin von je der Ordnung Freund gewesen, aber ich kann kein Freund der Revolution sein; ihre Gräuel empörten mich täglich. Ich habe die Französische Revolution schon so oft verwünscht, und jetzt tue ich’s doppelt und dreifach. Der fortdauernde Schrecken in Frankreich hat bewiesen, dass der Mensch nicht geboren ist, frei zu sein. Selbst unter der Misswirtschaft Ludwigs war das Volk nicht so unglücklich wie in den Jahren der Revolution. Glauben Sie mir, ein Volk wird nicht alt, nicht klug; ein Volk bleibt immer kindisch. Und deswegen ist es weit besser, die Menschen wie Kinder zu ihrem Besten zu leiten.«
»Dann sind Sie ein Freund des Bestehenden.«
»Das wiederum ist ein zweideutiger Titel, den ich mir verbitten möchte. Ein Freund des Bestehenden heißt oft nicht weniger als ein Freund des Veralteten und Schlechten. Wenn aber das Bestehende alles vortrefflich, gut und gerecht ist, wohl!, dann habe ich nichts dagegen, ein Freund des Bestehenden genannt zu werden. – Und Freiheit ? Ein schönes Wort, wer’s recht verstände! Ich brauche diese Freiheit nicht, in der die Menschen sich selbst und anderen schaden, in der sie wie die Kannibalen übereinander herfallen.« Goethe war unwirsch geworden. Er band sein Pferd los.
»Und wo auf der Welt ist das Bestehende vortrefflich, gut und gerecht?«, fragte Humboldt.
»Kommen Sie nach Weimar, ins deutsche Athen«, sagte Goethe und stieg in den Sattel, beinahe als wäre es eine Einladung, ihm sogleich dorthin zu folgen. »Weimar ward durch seinen Fürsten groß, und es gibt für mich kein schöneres Glück, als meinem Fürsten, den ich ehre, zu dienen.«
Nun schnalzte er mit der Zunge, und gemächlich trab te sein Pferd zurück zur Chaussee. Humboldt und Kleist sagten nichts. Aber als Goethe nur noch ein Schemen im Nebel war, wechselten sie einen Blick, der wortlos offenbarte, dass sie keinesfalls des alten Mannes Meinung teilten.
»Der Fürst der Dichter ist eben auch ein Dichter der Fürsten«, sagte Kleist.
Er lächelte, und dies Lächeln löste schließlich auch die Furchen auf Humboldts Stirn. Kleist bot eine Räuberleiter, und Humboldt nahm dankend an, um sich mittels ihrer in den Sattel zu schwingen.
Schiller und Arnim waren indessen zu Tischlern geworden. Als die drei Reiter mit dem Pulver in die Kirche der Karmeliter zurückkehrten,
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