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Das Erlkönig-Manöver

Das Erlkönig-Manöver

Titel: Das Erlkönig-Manöver Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Löhr
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aber sprechen konnte, hob er an: »Bettine, es ist genug. Streich die grimmigen Falten auf deiner Stirn glatt, sie schmücken dich nicht, und mich werden sie gewiss nicht umstimmen. Du bläst in einen kalten Ofen. Wir kehren nach Frankfurt um, das ist beschlossne Sache. Du hast mir dein Wort gegeben. Schon jetzt muss ich fürchten, dass mir Clemens’ Degen das Gesicht zerkratzt für all die Eulenspiegeleien, vor denen ich dich nicht bewahrt habe. Aber ich werde ganz sicher nicht dulden, dass du krebsgängig durch Deutschland hetzt, von blutrünstigen Franken gejagt, die sich nichts sehnlicher wünschen als unsre Vernichtung. Ich habe mein Blei schon geschluckt«, sagte er und legte die Hand dabei auf den durchschossenen Schenkel, »bin satt und habe keinen Bedarf an einem Nachschlag.«
    »Dann willst du die anderen in der Gefahr allein las sen? Die Herren Goethe und Schiller sind nicht mehr jung.«
    »Alte Leute müssen sterben, junge Leute können sterben. Das ist der Unterschied. Niemand hat sie zu diesem Unterfangen gezwungen. Und ich bin beileibe nicht ihr Hüter, sondern der deinige. Wir kehren nach Frankfurt zurück.« Mit diesen Worten fasste er Bettine beim Arm, um sie zurück zu den Pferden zu geleiten, aber sie entwand sich seinem Griff und rannte entlang des Bachlaufs davon. »Bettine!«
    Durch diesen Ruf wurden auch die Gefährten bei der Kutsche aufmerksam. »Achim? Ist alles in der Ord nung?«, rief es durch den Wald.
    »Wir sind gleich bei euch«, erwiderte Arnim und folg te Bettine.
    Zu seiner großen Überraschung fand er sie, wie sie gerade einen Ulmenbaum emporkletterte. Arnim machte einen Satz nach vorn, um noch ihren Fuß zu fassen, aber sie entzog ihn rechtzeitig. Von einem Ast drei Schritt über der Erde schaute sie ostentativ in die Ferne, den Rücken an den Stamm gelehnt.
    Arnim schluckte herunter, was er eigentlich sagen woll te, und fragte stattdessen: »Wie ist die Luft dort oben?«
    »Frei.«
    »Ich kann dir unter den Rock sehen.«
    »Herzlichen Glückwunsch.«
    »Bettine, die anderen warten auf uns. Du bist keine Eichkatze, also komm herunter, ehe du fällst.«
    Bettine antwortete nicht, und statt zu Arnim sah sie in die Wipfel der kahlen Bäume über sich.
    »Du bist verblendet«, sagte Arnim. »Du weißt anscheinend selbst nicht mehr, wessen du bedarfst.«
    »Ich weiß, wessen ich bedarf! Ich bedarf, dass ich meine Freiheit behalte!«
    Verlegen blätterte Arnim etwas Rinde vom Stamm ab.
    »Was kann ich, sollte ich nicht zur Axt greifen, tun, um dich wieder auf den Boden zu holen?«
    »Achim, begreife doch«, sagte sie mit sanfter Stimme, »es geht mir nicht um den Dauphin oder die Herren Schiller und Goethe, sondern vor allem um dich. Diese Tage sind die schönsten, die ich mit dir verbracht habe, allen Gefahren zum Trotz, und ich will sie nicht enden sehen. In Frankfurt ginge alles wieder seinen philister haft-frommen Gang; nie wären wir allein, nie unbeobachtet. Erinnere dich an unsre Nacht im Sonnenwirt .«
    »Ungern. Ich bin auf der Schwelle zum Paradiese schändlich eingeschlafen.«
    »Aber beim nächsten Mal wirst du wach bleiben, und es wird ein nächstes Mal geben, nicht in Frankfurt, sondern hier, wenn wir frei bleiben«, flüsterte sie und sah zu ihm herab mit ihren dunkelbraunen Augen, »und ich schwöre dir, Achim, es wird paradiesisch.«
    Eine Viertelstunde später ritten Achim von Arnim, Bettine Brentano und ihre Gefährten auf der Göttinger Straße nach Norden.

    Noch lange vor dem Morgen nahm Schiller, als er auf dem Bock der Kutsche saß, weit hinter sich auf der Stra ße ein tanzendes Lichtlein wahr. Er weckte Goethe, der wie Louis-Charles in der Kutsche schlief, durch einen Schlag aufs Verdeck und machte ihn darauf aufmerksam.
    »Vielleicht ein Irrlicht?«, fragte Schiller.
    »Nur Zickzack geht gewöhnlich deren Lauf. Das ist kein Irrlicht.« Goethe suchte in Humboldts Gepäck nach dessen Fernrohr und reichte es Schiller durchs Fenster, damit der das Geheimnis des Lichts, so gut es auf der rumpelnden Kutsche eben ging, lüften konnte.
    »Ein Malheur jagt das andere«, sagte Schiller, als er das Fernrohr vom Auge senkte. »Boris, lösch die Laternen. Es sind Reiter.«
    »Wie viele?«
    »Das kann ich nicht sagen. Ein halbes Dutzend im Mindesten.«
    »Schockschwerenot. Das ist doch nicht –«
    »Wer sollte es sonst sein, zu nachtschlafender Zeit im wilden Galopp? Der Erlkönig und seine Töchter?«
    »Die wären mir fast willkommner als dieser vielfach verteufelte

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