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Das Erlkönig-Manöver

Das Erlkönig-Manöver

Titel: Das Erlkönig-Manöver Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Löhr
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schlage vor, wir halten uns hier verborgen, derweil ein Kundschafter nach Eisenach galoppiert und in Erfahrung bringt, was auf der Wartburg wirklich vorgefallen ist.«
    Sofort meldete sich Kleist für diese Aufgabe, aber Goethes Wahl fiel abermals auf Humboldt, weil dieser Sir William und seinen Offizieren bekannt war. Ohne Verzögerung machte sich Humboldt also auf den Weg nach Eisenach, mit der ausdrücklichen Bitte Goethes, auf sich achtzugeben. Den anderen blieb nichts, als den Tag über verborgen im Wald auf seine Rückkehr zu warten. Die Pferde wurden abgesattelt und zur Tränke an den Bach geführt. Goethe bat Arnim und Kleist, die Uniformen der Nationalgarde, die sie bis jetzt aufbewahrt hatten, etwas abseits zu vergraben, um künftig weder bei deutschen Zollbeamten noch bei Franzosen Verdacht damit zu erwecken. Die französischen Musketen blieben aber in der Kutsche. Von einem der Blauröcke schnitt sich Goethe einen Knopf ab, um ihn, wie er sagte, als Andenken in seiner Münzsammlung zu bewahren.

    Kurz nach Einbruch der Dunkelheit kehrte Humboldt zurück. Sein Ross hatte Schaum vor dem Mund und Augen wie Glas, und es sah aus, als wäre es nach einer weiteren Meile tot umgefallen. Boris nahm es umgehend in seine Pflege. Aber auch Humboldt war mehr als erschöpft und konnte sich kaum mehr auf den Beinen halten, und als er die Lederhandschuhe auszog, waren seine Finger feuerrot vom Griff der Zügel. Bettine brachte ihm Wasser, der Dauphin hüllte ihn in eine Decke, und Kleist walkte ihm den versteinerten Nacken. Alle waren voller Ungeduld, seinen Bericht zu hören, denn hätte es zur Besorgnis keinen Anlass gegeben, wäre Humboldt sicherlich nicht so schnell geritten.
    »Brich endlich dein Schweigen, Alexander«, verlangte Schiller, »lass uns wissen, was wir zu fürchten, was zu hoffen haben!«
    »Viel von diesem. Wenig von jenem.«
    »Rede deutscher! Warst du auf der Wartburg?«
    »Ich musste nicht auf die Wartburg, um unsern schlimmsten Verdacht zu bestätigen. Noch in der Stadt begegnete ich dem bairischen Capitaine aus Mainz.«
    »Nein! Das kann nicht sein!«, rief Schiller. »Unmöglich, das kann dein Ernst nicht sein! Der Santing, der Bluthund, in Eisenach und am Leben!«
    »So lebendig wie ich und du.«
    »Blendwerk der Hölle! Es kann nicht sein, ich mag’s und will’s nicht glauben! Der Mann ist explodiert und ersoffen!«
    »Weder das eine noch das andre. Er scheint ein Auge verloren zu haben, denn er trug eine Klappe über dem rechten Auge, und darunter lag dicht der braune Schorf.«
    Fassungsloses Schweigen ergriff die Gruppe. Nur das Keuchen des geschundenen Pferdes und das Bachgemurmel durchbrachen die Stille.
    Goethe sagte: »So ist es mit den Schurken: Eh man sich umsieht, stehen sie wieder.«
    Humboldt berichtete nun, wie er in Eisenach eintraf und wie tatsächlich die Kunde von den Vorfällen auf der Wartburg den Weg nach unten in die Stadt nicht gefunden hatte, denn das Leben schien seinen üblichen Gang zu gehen. Die Zügel seines Pferdes in der Hand, wollte Humboldt gerade den Markt überqueren, als er Santings gewahr wurde, der ihm in Begleitung eines weiteren Mannes geradewegs entgegenkam. Die beiden trugen unauffällige Röcke und keine sichtbaren Waffen. Sicherlich hätte der Capitaine auch Humboldt erkannt, doch die Augenklappe musste die Sicht auf ihn verdeckt haben. Schnell verbarg sich Humboldt vollständig hinter seinem Pferd, und als sie einander passiert hatten, folgte er den beiden in gebührendem Abstand bis zu einer Herberge in der Georgenstraße, vor der sie mit einem Dritten sprachen, bevor sie ins Haus traten – ob in Französisch oder Deutsch, das konnte Humboldt aus der Entfernung nicht ausmachen.
    »Und das ist beileibe nicht alles«, fuhr Humboldt fort. »Denn in der Hand trug Santing einen Spazierstock, der seine Verkleidung zum rechtschaffnen Bürger komplettierte. Einen Spazierstock – mit einem Löwenkopf aus Elfenbein zum Knaufe.«
    »Bei dem tausendarmigen Tod! Solch einen Stock hat te …«
    Und Goethe beendete den Satz, den Schiller angefangen: »… Sir William Stanley.«
    »Gift, Pest und Verwesung!«, fluchte Kleist und trat vor Wut einen toten Ast entzwei. »Das fasst kein Sterblicher!«
    Während Humboldt nun seinen Durst löschte und Kleist weiter auf dem Waldboden wütete, wollte Arnim Bettines Hand nehmen, aber sie wich dem aus, indem sie ihre Arme vor der Brust verschränkte. Louis-Charles sah blass in die Runde.
    Schiller setzte sich hustend auf

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