Das Erlkönig-Manöver
Ingolstädter Bluthund. Das ist unmöglich! Oder zumindest unerklärlich! Woher weiß er, dass wir hier sind, und wie kommt er so schnell aus Eisenach hierher?«
Schiller wies Boris an, die Pferde anzutreiben. Louis-Charles, der nun ebenfalls erwacht war, schlug vor, sich in Eschwege in die Obhut der Polizei oder einer Kaserne zu begeben, aber Goethe hielt dawider, dass die Gefahr, in die Hände von Napoleoniden zu geraten oder schlicht für blödsinnig gehalten zu werden, zu groß war. Und wenn die englischen Dragoner, die besten Seiner Majestät, auf einer Festung wie der Wartburg nicht sicher waren, warum sollte es der Dauphin dann in Eschwege sein?
Stattdessen wollte man die Verfolger, wenn es denn tatsächlich Verfolger waren, mit der Kutsche, die ohnehin ihr Fortkommen bremste, als Köder auf eine falsche Spur locken, namentlich die Chaussee nach Göttingen, während die Gefährten ostwärts ritten, nach Preußen, zu den Feinden der Franzosen. Noch in der Fahrt wurde ein zweites Mal das nötigste Gepäck auf die Satteltaschen und die Ranzen verteilt, und die französischen Flinten wurden in einer Decke gebündelt, mit Ausnahme von einer, die der russische Kutscher zurückbehalten sollte.
Am Morgen war Eschwege erreicht und von den fremden Reitern keine Spur. Dennoch nahm man ohne Verzug Abschied von Boris und schärfte ihm ein, sein liebes Leben zu retten, sollte man ihn einholen. Am Posthaus wurden ohne Rücksicht auf den Preis mit dem Weimarer Geld die drei kräftigsten Gäule erstanden: ein Schweißfuchs mit einer Blesse, ein Kastanienbrauner und ein Schecke mit schwarz-gelben Flecken; Pferde wie Hirsche, die aussahen, als würden sie sie, wenn nötig, bis nach Polen tragen. Auf dem Pferderücken nahmen die sieben Reiter ein karges Frühstück zu sich. Wenig später kamen sie an die hessisch-preußische Grenze, und mit preußischer Gründlichkeit wurden sie von den Douaniers befragt und ihre Pässe geprüft. Ihr spärliches Gepäck wurde von einem Visitator ausdrücklich nach französischem Gut durchsucht. Nur den mustergültigen Passierscheinen aus Carl Augusts Kanzlei war es zu verdanken, dass den sieben erlaubt wurde, auch die zahlreichen Waffen ins Königreich einzuführen. Nach einer Viertelstunde wurde der Schlagbaum gehoben und hinter ihnen wieder gesenkt, und es stand zu hoffen, dass er für ihre Verfolger, sollten sie ihnen und nicht der Kutsche gefolgt sein, geschlossen bliebe und die Hatz damit beendet war.
Gegen Mittag, im Eichsfeld, stürzte Kleists Pferd, eines der französischen, das seit dem Vorabend ununterbrochen gelaufen war, und warf den Reiter unsanft in den Graben. Kleist blieb bis auf eine Blessur unverletzt, aber der Gaul war mit dem Vorderbein so übel eingeknickt, dass er nur noch hinken konnte. So unglücklich dieses Ereignis auch war, war die dadurch entstandene Unterbrechung Anlass für eine mehr als notwendige Pause für Rosse und Reiter. Die Gefährten tranken, walkten sich die wunden Glieder und ließen die Tiere grasen. Schiller griff erneut zu Humboldts Messingfernrohr und suchte damit den Horizont ab. Arnim trat an ihn heran.
»Ich denke, wir haben sie abgehängt. Meinst du nicht auch?«
»Nein.«
»Ironie?«
»Nein. Bitterer Ernst.« Schiller wies auf eine Staubwolke hinter einer Hügelkette, die auf einige Reiter hindeutete. »Er folgt uns unverdrossen durch alle Schlangenkrümmen unsrer Flucht.«
»Gottes Blitz!«, wetterte Kleist, »so hungerheiß folgt keine Wölfin ihrer Beute! Wie viele Schlagbäume müssen wir diesen Lumpenhunden noch in den Weg stellen, wie viele Brücken noch unter ihren Ärschen wegspren gen! Wann immer ich mich umsehe, erblicke ich zwei Dinge: meinen Schatten und sie!«
Auch Goethe schüttelte fassungslos den Kopf. »Tropft von unsern Tritten Blut auf den Pfad, oder wie kann es sein, dass dieser Mensch uns wie ein losgelassner Hund auf der Fährte bleibt? Ich möchte einmal wissen, wel chem Satan er dafür seine Seele verpfändet hat!«
Arnim und Bettine wechselten nun auf das kräftigste der drei neuen Pferde, während Kleist das Pferd von Bettine erhielt und dessen verletztes Pferd mit einem Peitschenschlag Humboldts fortgetrieben wurde. Im Galopp erörterte man, durch laute Zurufe, um das Hufgeklapper zu übertönen, einen Ausweg aus dieser Notlage. Kleist wollte von einem strategisch günstigen Punkt neben der Straße das Feuer auf die Franzosen eröffnen. Humboldt schlug vor, die Gruppe zweizuteilen, in der Hoffnung, Santing
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