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Das Erlkönig-Manöver

Das Erlkönig-Manöver

Titel: Das Erlkönig-Manöver Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Löhr
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Geschichte des Menschen ist kein Kapitel unterrichtender für Herz und Geist als die Annalen seiner Verirrungen. In Friedlos, einem Dorf mit Poststati on links der Fulda, drei preußische Meilen vor der kurhessischen Grenze und sechs vor Eisenach, glaubten sich die Gefährten bereits so unerreichbar und so sicher, als stünden sie im Hof der Wartburg. Ein letztes Mal hatte Boris die Pferde getauscht, die die Kutsche bis zum Abend nach Eisenach gebracht haben sollten, und schon waren alle, nach dem kurzen Imbiss, den sie im Posthause zu sich genommen hatten, wieder in den Sattel gestiegen. Allein Schiller säumte. Als er den Fuß schon auf die Stiege der Kutsche gesetzt hatte, war das Wort Wartburg an sein Ohr gedrungen.
    Schiller sah sich nach dem Sprecher um. Es war ein Reisender aus Schweden, ein junger Herr mit flachsblonden Haaren und einem roten Gesicht, der drei Männern, die auf einer Bank vor der Station saßen, mit großen Gebärden ein Geschehnis schilderte.
    »Einen Augenblick, mit Verlaub«, sagte Schiller in die Kutsche, wo schon Bettine und der Dauphin saßen. »Ich will doch hören, was der Schwede zu sagen hat.« Er stieg ab und gesellte sich zu den Männern. »Herr Schwede!«
    Der Nordmann drehte sich zu Schiller um, offensichtlich erfreut, einen weiteren Zuhörer gewonnen zu haben. Nachdem sie sich einander vorgestellt hatten, erklärte der Schwede, dass er sich gerade auf Kavaliersreise nach Italien befinde und dass er am Vortag, auf der Weiterfahrt nach Fulda, hier aus Eisenach eingetroffen sei.
    »Sind Sie auch auf der Reise nach Eisenach?«, fragte der Schwede und warf einen Blick auf Schillers Gesellschaft. »Unter Ihnen befindet sich kein Brite, möchte ich hoffen?«
    »Weshalb?«
    »Weil sich in der Nacht auf gestern auf der Wartburg eine schreckliche Freveltat ereignet hat: Zwei britische Besucher wurden erstochen und erlebten den Morgen nicht mehr, zwei weitere werden derzeit im Spital zusammengeflickt. Die Kunde davon gerät nicht an öffentliches Ohr, da die Eisenacher Behörden, möchte ich annehmen, ihr Möglichstes tun, den Mord unter Verschluss zu halten – in einer Zeit, da Europens Nationen einander so argwöhnisch beobachten.«
    »Von wannen kommt Ihnen diese Wissenschaft?«
    »Ich weiß nur davon, weil’s meine Absicht war, am selbigen Tage Luthers Zufluchtsstätte zu besichtigen, und ich vor verschlossnen Türen stand. In der allgemeinen Konfusion gelang es mir, einer Magd – bleich wie ein Leichentuch, sie – das Wissen um dies Blutbad abzugewinnen. Erschütternd, nicht wahr? Im selben Hause, wo einst dem großen Reformator der Teufel erschien. In dieser Nacht hat er die Wartburg erneut aufgesucht, möchte man fürchten. Herren m å beskydda oss alla! «
    »Ist von den Tätern etwas bekannt?«
    Der Schwede schüttelte den Kopf. »Wie über den Beweggrund ihrer Tat: nichts im Geringsten. Die sind längst über alle Berge, möchte ich annehmen. Auch mich hielt in der Stadt nichts mehr.« Nun schüttelte sich der Schwede einen Schauder aus den Gliedern. »Wie sagten Sie, Doktor Ritter – Sie waren unterwegs nach Eisenach?«
    »Nein. Unser Ziel ist Hannover.«
    Nachdem er sich von den anderen Reisenden verabschiedet hatte, kehrte Schiller zur Berline zurück. Statt aber in die Kutsche zu steigen, stieg er zu Boris auf den Bock und raunte ihm zu: »Wir nehmen die Göttinger Chaussee. Mach, wie ich dir sage. Ich erkläre mich später.«
    Die vier Berittenen waren überrascht, dass die Kutsche eine Meile später an der Kreuzung der Straßen nicht ost-, sondern nordwärts fuhr, aber ein einziger Blick von Schiller genügte, dass sie ohne eine Frage folgten. Nach einer Viertelstunde hieß er Boris in einem Waldstück die Pferde auf einen verwachsenen Köhlerweg lenken, der an einer eingefallenen Holzbrücke über einen Bach endete.
    »Sir William ist vernichtet«, sprach Schiller und sprang vom Bock. »Die Männer, in deren Obhut wir Karl geben sollten, sind verwundet oder tot.«
    Diese Nachricht lähmte die anderen regelrecht, und gleich steinernen Statuen vergangener Feldherren saßen sie auf ihren Pferden.
    »Es tut mir leid, dass ich euch weder bessere Kunde geben kann noch die schlechte ausführen. Der Schwede, mit dem ich sprach, wusste selbst nicht mehr.«
    »Sollte man uns aus Mainz verfolgt und überrundet haben?«, fragte Humboldt. »Oder gibt es in Eisenach selbst Gegner unsrer Kampagne?«
    »Sicher ist nur, dass wir heut nicht nach Eisenach reiten«, sagte Goethe. »Ich

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