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Das Erlkönig-Manöver

Das Erlkönig-Manöver

Titel: Das Erlkönig-Manöver Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Löhr
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würde den Falschen folgen. Letzten Endes einigten sich die Gefährten aber darauf, ohne Rast und Aufenthalt und bis zur vollkommenen Erschöpfung der Pferde weiterzureiten, zumindest aber bis zum Einbruch der Dunkelheit, um sich dann zu Fuß abzusetzen und alle Straßen fürder zu meiden. Derweil sollte einer von ihnen mit den Pferden auf der Straße weiterziehen, um mit den Hufspuren im Dreck der Chaussee den hartnäckigen Capitaine fortzulocken – eine List, die beim zweiten Versuch hoffentlich gelingen würde.

    Die Sonne sank in ihren Rücken, aber wenn einer von ihnen den Blick über die Schulter warf, dann nicht, um sich am Abendrot zu ergötzen, sondern um zu prüfen, ob der Abstand auf ihre Jäger wuchs oder schwand. Obgleich Hunger und Durst, Mattigkeit und Gliederschmerzen die Reitenden plagten, erlaubte sich niemand die Schwäche, darüber zu klagen. Im Dunkeln überquerten sie die Unstrut, und in einem Wald dahinter saßen sie endlich ab. Louis-Charles fiel zu Boden, weil seine Beine ihn nach dem langen Ritt nicht mehr tragen wollten, und blieb dort liegen. Aber auch Bettine und Humboldt legten sich rücklings ins Gras neben der Straße. Wie Blei lag der Schlaf in allen.
    »Wer heißt euch schlafen?«, fragte Schiller. »Etwas Kraft noch, sonst wird man euch im Schlaf erdrosseln.«
    Das Wasser in den Schläuchen war erschöpft und kein Bach in der Nähe, und der Staub der Straße, der in ihren Rachen haftete, schmerzte beim Schlucken. Die Gefährten packten, was noch in den Satteltaschen war, in ihre Tornister, und die französischen Musketen wurden mit samt Bajonetten auf die Männer aufgeteilt. Kleist lud sei ne beiden Pistolen, denn ihm kam die Aufgabe zu, die fal sche Spur mit den Pferden zu legen und danach, so möglich, wieder zu den anderen zu stoßen. Die Zügel der Pferde wurden verbunden, sodass Kleist mit einer Hand alle führen konnte. Er stieg auf den Rücken des Schecken, sprach ein kurzes Lebewohl und preschte dann davon. Die Übrigen schulterten ihre Bagage, die Decken und die Waffen und folgten Humboldt in den Wald links der Straße, immer weiter fort von Weimar, ihrem eigentlichen Ziel. Wiewohl Humboldt bald einen Wildweg fand, auf dem das Unterholz leichter zu durchqueren war, war ihre Wanderung durch Nacht und Wind qualvoll. Fortwährend schlugen ihnen Äste ins Gesicht, die sie in der Dunkelheit nicht wahrnahmen, und da sie in ihrer Erschöpfung die Füße kaum heben konnten, stolperte mehr als einer über Wurzeln und Steine. Die Tiere des Waldes hoben zu einem misstönenden Konzert an, wo die Wanderer ihre Ruhe störten. Statt eines Quells stießen sie nur an einen Tümpel, dessen brackiges Wasser ihren Durst nicht zu löschen vermochte. Vielfach war Humboldt taub für die Bitte, endlich innezuhalten, aber schließlich fiel er selbst auf die Knie und gestand, nicht mehr weiterzukönnen, selbst wenn die Hölle ihre Legionen verdammter Geister nach ihm ausgesandt hätte.
    An Ort und Stelle sollte also das Nachtquartier sein, doch niemand gab sich die Mühe, den Schlafplatz einzurichten. Obwohl in der Nacht Frost drohte, wickelten sich die Gefährten schlicht in ihre Decken ein, so schnell es ging, und die Müdigkeit tat ein Übriges. Arnim hatte sich für die erste Nachtwache erboten, aber nachdem er bei jedem der Schlafenden geprüft hatte, ob er so warm als möglich zugedeckt war, und sich mit seiner eigenen De cke umhüllt gegen eine Buche gelehnt hatte, entschlummerte auch er, ehe der Kauz dreimal geheult hatte.

    Ohne Frühstück ging es am nächsten Morgen weiter Richtung Nordwest. Sie wanderten fernab der Straße, und wenn sie aus der Deckung des Waldes traten, um ein Feld oder eine Wiese zu überqueren, dann taten sie es, wie vormals im französisch besetzten Hunsrück, mit Umsicht und Eile. Sie mieden alle Ansiedlungen; nur einmal schickten sie Arnim zu einem Gutshof, um einen Laib Brot und einen Käse zu erstehen. Bei der Rückkehr jammerte er darüber, dass man sich nun schon im heimischen Preußen vor den Feinden verbergen musste.
    Anhand der Hinweise, die Humboldt ihm gegeben hat te, stieß am Nachmittag Kleist zu ihnen. Er war bis vor Langensalza geritten und hatte dort die Pferde zu anderen in eine Koppel am Wegesrand geführt, deren Besitzer sich zweifellos über den unerhofften Zuwachs freuen würde. Ein Pferd hatte er zurückbehalten, um wieder zu den Gefährten zu reiten. Das unglückliche Tier war von dem Höllenritt, der zwei Tage und Nächte gedauert hatte, so

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