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Das Erlkönig-Manöver

Das Erlkönig-Manöver

Titel: Das Erlkönig-Manöver Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Löhr
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erschöpft, dass es ohnmächtig zusammenbrach, kaum dass Kleist den Sattel verlassen hatte. Einer Eingebung folgend, hatte sich Kleist nahe der Straße verborgen, und nach Ablauf einer Stunde galoppierten tatsächlich Reiter an ihm vorbei – allerdings nur zwei an der Zahl und Santing mit Gewissheit nicht darunter. Als Kleist aber die beiden Männer beschrieb, die seiner Schilderung zufolge bis an die Zähne bewaffnet waren, erkannte Humboldt den einen wieder als den Mann, mit dem der Capitaine vor der Herberge in Eisenach gesprochen hatte. Es konn te also wenig Zweifel darüber bestehen, dass sich ihre Verfolger getrennt hatten und nur zwei von ihnen der falschen Fährte gefolgt waren. Doch wo sich die anderen befanden, und insbesondere Santing, das war ein Rätsel. Mit Sicherheit konnte man nur sagen, dass sie noch immer nicht in Sicherheit waren.
    Da sie nicht ewig fliehen wollten und dieser einsame Landstrich keine namhaften Städte aufzuweisen hatte, in denen man um Hilfe bitten konnte, schlug Goethe vor, sich in unwegsames, unbesiedeltes Gebiet zu begeben, und sei es bis hoch auf den Brocken, um Santing vollends abzuschütteln, oder ihn, sollte er dennoch folgen, mit Pulver und Blei zu erwarten. Ein weiteres Mal breitete er die oft bemühte Karte aus. Sie zerfiel in seiner Hand in vier Teile, und er musste die Viertel auf dem Boden erst arrangieren. Drei Höhenzüge kamen, so schien es, für ihr Vorhaben in Frage: die Hainleite, der Harz und der Kyffhäuser. Der Entscheid fiel auf Letzteren, der zwischen den beiden anderen lag. Goethe hatte die Hügel des Kyffhäusers mit dem Herzog dreißig Jahre zuvor bereist, und es war nicht ausgeschlossen, dass Carl August sich daran erinnern und ihn dort suchen würde. Aller Hoffnung war zudem, dass sie die Franzosen dort nicht finden und, da sie sich nicht ewig im preußischen Königreich verbergen konnten oder vielmehr im Schwarzburger Fürstentum, in dem sich das Kyffhäusergebirge befand, mit leeren Händen wieder abziehen würden. Sollte es vonnöten sein, konnte man noch immer einen der Gruppe als Kurier zum Herzog nach Weimar schicken.
    Bis zum Kyffhäuser war es noch ein guter Tagesmarsch, und eine weitere Nacht mussten die Gefährten ungeschützt auf dem hartgefrorenen Waldboden verbringen, nach der nicht nur Schillers Husten ärger geworden war, sondern auch die Nasen Goethes und Bettines verstopft. Kleist hatte unbequem auf einem schroffen Stein gelegen, sodass er am Morgen darauf vor lauter Nackensteife den Kopf nur in eine Richtung wenden konnte, und Arnim war derart ungünstig aufgetreten, dass sein Knöchel anschwoll und die anderen ihm den Stiefel bald vom rot geschwollenen Fuße herunterschneiden mussten. Seinen Vorwurf an Bettine sprach er nicht aus, als er in Strümpfen weiterhumpelte, er war ihm aber deutlich lesbar ins Antlitz geschrieben.
    Doch wie es das Glück wollte, machten sie im Schatten der Hainleite eine Begegnung, die aller Laune hob: Sie kreuzten den Weg eines fahrenden Händlers, der mit seinem einspännigen Wagen von einem Dorf zum nächsten über die schlechte Straße fuhr. Angesichts der guten Bewaffnung der Gefährten glaubte sich der arme Kaufmann zunächst in einem Hinterhalt von Räubern. Umso größer war seine Freude, es stattdessen mit zahlungskräftigen Kunden zu tun zu haben. Ohne Verzug hatte er die Läden seines Wagens geöffnet und sein Inventar vor den sieben ausgebreitet, und die nahmen mit, was in ihre Ranzen passte und was ihnen in den kommenden Tagen in der Wildnis von Gebrauch sein konnte: zwei Zelte aus fester Leinwand, Filzdecken, Zunder, Kerzen, Lampen, Pechfackeln, eine Axt, Seife, einige Töpfe, Teller und Essgeräte; Brot, Mehl, Grütze, Kartoffeln, Schinken, Würste, Käse, Apfel, reichlich Zichorienkaffee sowie zahlreiche Flaschen Wein und Branntwein; ferner neue Kleider für den Dauphin und neue Stiefel für Arnim. Auch Bettine bestand darauf, den leidigen Rock, der sich so oft im Unterholz verfangen hatte, dass sein Saum in Fetzen lag, endlich gegen eine Hose einzutauschen. Sie kaufte sich graue Beinkleider, dazu ein gelbes Westlein und einen braunen Überrock. Hinter dem Wagen kleidete sie sich um. Ihrer kleinen Statur wegen war ihr aber alles zu lang und zu weit, als ob sie es auf dem Krempelmarkt erstanden hätte. Der Händler lachte über sie und sagte, sie sähe aus wie ein Savoyardenbube und könne als sol cher gute Dienste leisten. Humboldt machte ihr eine Müt ze von Fuchspelz zum Geschenk, von der

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