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Das Erlkönig-Manöver

Das Erlkönig-Manöver

Titel: Das Erlkönig-Manöver Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Löhr
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Vögel im Himmel über dem Kyffhäuser ihre Kreise, so muss der traurige Kaiser abermals hundert Jahre schlafen. Aber wenn sein roter Bart dreimal um den Marmeltisch gewachsen ist, sagt man, hat das Warten ein Ende, denn dann vertreibt ein stolzer Aar die Raben, und Barbarossa wird sich erheben und seine Getreuen um sich sammeln, die wie er über die Jahrhunderte gleichfalls verzaubert waren, und alle Ritter werden die unterirdische Rüstkammer leeren und sich mit Helm, Schild und Schwert wappnen und hervortreten aus dem Bergesinnern und die größte Schlacht schlagen, die Europa je sah. Und die Völker werden sich dem alten Kaiser in seiner Pfalz zu Aachen beugen, und das Sacrum Imperium wird er zu neuer, nie dagewesener Glorie führen. Und wer weiß?«, fragte Arnim, wobei das Licht der Öllampe ihn von unten gespenstisch beschien, »vielleicht schläft er direkt unter unserm Lager, und das geheimnisvolle Knarzen, welches einige von uns um die Ruhe der letzten Nacht brachte, waren keinesfalls, wie Alexander behauptet, zween Baumstämme, die der Wind gegen ei nanderrieb – sondern das Schnarchen des römisch-deutschen Kaisers.«
    Hierauf krächzte im Dunkel ein Rabe, und die Gefähr ten, die sich wenig später auf ihre Lagerstätten zurückzogen, waren beruhigt, dass Barbarossa zumindest in dieser Nacht nicht auferstehen würde.

    Anderntags beschlossen Arnim, Humboldt und Kleist, zu einem Ausflug durchs Gebirge aufzubrechen, denn es war Arnims Wunsch, einmal für einige Stunden nur unter seinen preußischen Landsleuten zu sein. Der schwäbische Dialekt Schillers, so sagte Arnim, würde ihm auf Dauer in den Ohren schmerzen, vor allem aber das Frankfurter Gebabbel Goethes, ein Klang wie lauwarme Grütze, in den durchs schlechte Vorbild bedauerlicherweise auch Bettine zunehmend verfiel, sodass die beiden einander in ihrer Heimatzunge sogar noch ermutigten. Noch während die drei Preußen aber ihre Vesper für den Tag bereiteten, bat Bettine Arnim, sie auf einem Spaziergang zu begleiten, und er sagte ihr bereitwillig zu. Die anderen beiden brachen also ohne ihn auf.
    Vom Lager am Musentempel führte sie ein Pfad durch Schluchten und über Höhen nordostwärts. Fortwährend war ihr Weg von hohen Bäumen beschattet, und der Lenz war in jedem Spross und jeder Knospe. Anstatt zu sprechen, erfreuten sich beide an der Natur – Kleist an ihrer Schönheit, Humboldt an ihrer Perfektion. Auf dem Kamm, der den Kyffhäuser einmal von Ost nach West durchteilte, machten sie Pause und kehrten dann, dem Kompass folgend, auf einem anderen Weg zurück.
    Dabei stießen sie auf die entzückendste Kulisse, die man sich nur vorstellen kann: Zwischen Felsen sprudelte ein Wasserfall hervor und ergoss sich zwei Schritt tiefer in ein Becken, so klar, dass man bis auf den steinernen Grund sehen konnte. Dicht nebenbei war eine kleine Wiese, die nun von der Märzensonne beschienen wurde, und hier und überall grünte es: An der Böschung, über den Felsen – ja selbst in den kleinsten Spalten der Steine hatten Pflanzen ihre Wurzeln geschlagen, und gerahmt wurde dies liebreizende Bild von den hohen Tannen ringsum. Kleist tat unwillkürlich einen Seufzer.
    Da ihr letztes Bad im Gasthaus Zur Sonne mehr als zwei Wochen zurücklag, beschlossen sie sogleich, ein Bad in diesem Becken zu nehmen. Sie entledigten sich also sämtlicher Kleider und stiegen hinein. Mehr als ein einmaliges Untertauchen und eine kurze Wäsche unter lautem Prusten war bei dem eisigkalten Wasser nicht möglich, aber nachdem sie sich mit ihren Hemden getrocknet hatten, war ihnen inwendig so warm, dass es mit dem Ankleiden keine Eile mehr hatte.
    Auf der Wiese geschah es, dass sich Humboldt einen Dorn in den linken Fuß trat, und er nahm, noch nackt, auf einem Felsen Platz, um sich, das linke Bein auf den rechten Oberschenkel gelegt, den Splitter aus der Fußsohle zu ziehen. Kleist, der gerade seine Hosen gürtete, hielt inne, um dieser stillen Vorführung natürlicher Grazie zuzusehen. Erst als Humboldt wieder aufblickte und ihm lächelnd zwischen zwei Fingerspitzen den entfernten Dorn präsentierte, erwachte Kleist aus seiner Träumerei, und er kleidete sich weiter ein. Sein Herz schlug schnell in sei ner Brust, aber das hatte es auch schon nach dem erquickenden Bad getan.
    Wanderung und Waschung hatten die beiden erschöpft. Humboldt legte sich in die Wiese, Kleist lehnte den Rücken gegen einen Felsblock mit trockenem Moos. Der Wasserfall sang sein Lied, und wie Federn

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