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Das Erlkönig-Manöver

Das Erlkönig-Manöver

Titel: Das Erlkönig-Manöver Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Löhr
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Teil ist nicht mehr unsre Aufgabe, sondern die unsrer Auftraggeber.«
    »Du hast davon gewusst, Friedrich?«, fragte Humboldt, und als Schiller nickte, sagte Arnim beiseit: »Daher die Gespräche auf dem Rabenfelsen … Lehrstunden in Staatsführung für die Zeit nach der Usurpation!«
    Nun meldete sich auch Bettine zu Wort. »Wie lange hattet ihr drei vor, uns dieses Detail zu verschweigen?«
    »Ich weiß es nicht«, sagte Goethe.
    »Zwischen uns sei Wahrheit.«
    »Wohl: Wir hätten es vermutlich nie erwähnt. Und um die ganze Wahrheit zu sagen, wir hatten auch Karl eingeschärft, darüber zu schweigen.«
    »Es tut mir leid«, sagte Karl schwermütig. »Ich wollte keinen Unfrieden stiften.«
    Schiller legte die Hand auf den Rücken seines Zöglings. »Dich trifft keine Schuld, Karl.«
    »Mir fehlen die Worte«, sagte Bettine.
    »Aber was hätte es geändert, wenn wir darüber nicht geschwiegen hätten?«, fragte Goethe.
    »Was es geändert hätte? Nicht weniger als alles! Ich bin ausgezogen, die Waise aus dem Temple zu befreien – und nicht den König von Frankreich! Ich bin ohne mein Wissen zum Kämpfer fürs Ancien Régime geworden, und ich habe mein Leben riskiert, um dem Nachfahren eines mittelalterlichen Geschlechts von Unterdrückern – vergib mir, Karl – die Stufe zum Thron zu sein! Und jetzt erst begreife ich, warum wir durchs halbe Reich gejagt werden: Weil Napoleon eure Pläne vorausahnt und den Dauphin und seine Helfer tot sehen möchte!«
    »Dann wünscht ihr stattdessen, dass dieser Tyrann Kaiser von Frankreich bleibt und sich zum Kaiser von Europa aufschwingt?«
    »Wir wünschen weder das eine noch das andre«, er klärte Arnim. »Keinen ersten Kaiser Napoleon und kei nen x-ten König Ludwig, sondern eine Regierung von dem Volk durch das Volk! Das ganze Volk muss aus seinem Zustand der Unterdrückung erhoben werden.«
    Goethe schüttelte den Kopf über diesen kühnen Traum. »Wenn Napoleon gestürzt ist, muss ein andrer seinen Platz einnehmen, denn sobald die Tyrannei aufgehoben ist, geht der Konflikt zwischen Aristokratie und Demokratie unmittelbar an. Das Land braucht einen Kö nig, es zu lenken.«
    »Alle Bürger sollen Könige sein!«, sprach Bettine.
    »Sicherlich, nur ist dies ist ein frommer Wunsch, der nie in Erfüllung gehen wird. Denn wenn alle Bürger Könige sind, sind bald auch alle Bürger Tyrannen. Wer lange lebt, hat viel erfahren: Sie sind zu jung, die Gräueltaten einer verwilderten und zugleich siegberauschten Nation miterlebt zu haben – die Septembermorde, das Nationalbad in der Vendée, die nimmersatte Guillotine –, und als ich in Ihrem Alter war, habe ich die Französische Revolution ebenso begrüßt, wie Sie ihr jetzt offenbar nachtrauern, aber glauben Sie mir: Ohne Anführer wäre Frankreich bald wieder ein blutiges Pandämonium. Jede Revolution geht auf den Naturzustand hinaus, auf Gesetz- und Schamlosigkeit, und Revolutionäre, die Gleichheit und Freiheit zugleich versprechen, sind Phantasten oder Scharlatane. In keinem Land auf dem Erdenrund, nicht einmal das alte Athen ausgenommen, hat es je eine Demokratie gegeben, die sich nicht auf dem Leid andrer gründete.«
    »Sie vergessen Amerika«, wandte Arnim hörbar verärgert ein.
    »Welches seinen Reichtum den afrikanischen Sklaven verdankt. Fragen Sie Herrn von Humboldt.«
    »Halten Sie mich freundlicherweise aus dieser Debatte heraus«, entgegnete Humboldt kühl.
    »So leicht lasse ich mich nicht von Ihrer Altersweisheit überrennen, Herr von Goethe«, sagte Arnim. »Und wenn ich wählen müsste zwischen einem mittelalterlichen Tyrannen und einem modernen, dann fiele meine Wahl auf Napoleon, obwohl ich ihn hasse.« Hier schaute Kleist auf, aber Arnim fuhr unbeirrt fort: »Es ist mein Ernst. Seit Friedrich dem Einzigen hat es keinen aufgeklärteren Herrscher als ihn gegeben, einen Fechter für Freiheit und Gleichheit, und wie der große Friedrich hat Napoleon den einzigen Fehler, dass er seine Ziele mit Gewalt durchsetzt statt mit Argumenten, und auch in Ländern, die ihm nicht Untertan sind. Aber Napoleon hat den Geist der Französischen Revolution gefasst, und solange er diesem folgt, wird er auch siegen. Und ich weiß mir im Übrigen auch nicht zu erklären, mit welcher schwarzen Magie Ihre royalistischen Freunde in Weimar gedenken, Napoleon zu töten. Es wird ihnen nicht gelingen – und selbst wenn es gelänge: Napoleon wird ein neuer Napoleon folgen.«
    Auf diese gesalzene Replik fasste Bettine unwillkürlich

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