Das Erlkönig-Manöver
den Fichten«, erwiderte Kleist, und etwas leiser: »Und verliebt wie ein Käfer.«
»Ei der Daus. Wer ist die Glückliche?«
»Das kann ich dir nicht anvertrauen. Ich kann’s mir selbst ja nur schwerlich eingestehen.«
Kleist setzte sich auf eine der herausragenden Wurzeln, und Bettine saß dicht neben ihm nieder. Er schlang den Arm um sie, dass sie einander wärmten. Beiden war es unmöglich, den Blick vom leuchtenden Mond über ihnen zu nehmen.
»Es ist Alexander, gelt?«, fragte sie.
»Dass dich der –! Bübin, woher kannst du das wissen?«
»Ich studiere die Menschen, und ich weiß von mir selbst, wie ein Auge blickt, aus dem die Liebe spricht. Doch keine Furcht; ich kann schweigen.«
Kleist nickte. »Ja, es ist Alexander. Ich lieb ihn, wie ich nie geliebt habe. So kurios und albern das auch klin gen mag.«
»Die Liebe ist stets kurios, aber nimmer albern.«
»Wir waren baden heut, und ich habe seinen schönen Leib mit wahrhaft – mädchenhaften Gefühlen betrachtet: den kleinen krausen Kopf, zwei breite Schultern, den nervigen Leib, das Ganze ein musterhaftes Bild der Stär ke. Er könnte wirklich einem Künstler zur Studie dienen. – Herrgott, er stellt das Zeitalter der Griechen in meinem Herzen wieder her! Mir ist der Begriff von der Liebe der Jünglinge durch die Empfindung, die er in mir geweckt hat, endlich klar geworden.«
»Alexander ist sehr hübsch, fürwahr.«
»Und er ist klug und kennt die Welt und fürchtet nichts, ist eine wahre Heldenseele – – im Männerkörper. Wär er ein Weib – o Gott, wie innig wünschte ich dies! –, wär er ein Weib, oder ich, so müsste ich mir den Verstand nicht martern.«
Bettine schüttelte den Kopf. »Was kann der Verstand hier? Der weiß alles besser und kann doch nichts helfen, der lässt die Arme sinken.«
»Dann hilf du mir, teure Freundin, Schwester, Bettine: Was kann, was soll ich tun?«
»Ist dem zu helfen, der die Augen einmal ins Leben aufgeschlagen hat? – Die Sehnsucht hat allemal recht. Ergründe, ob er denkt wie du. So er es tut, frohlocke; so nicht, lass deine Hingabe allein dir genug sein. Auch oh ne Gegenliebe kann die Liebe ein selbstloses Herz erfreuen.«
Kleist überdachte diese Worte und sagte dann: »Ich danke dir für deinen Rat. Und bin glücklich, dass ich dich, so hübsch du Alexander auch findest, nicht als Nebenbuhlerin fürchten muss.« Er schlang den Arm um Bet tine wie um ein kleines Geschwisterchen und schmunzel te. »Du hast es leicht, mein Mädchen: Liebst deinen braven Achim und weißt, dass du zwei-, drei- und vierfach von ihm wiedergeliebt wirst.«
»Ja«, echote Bettine, »ich habe es leicht.«
Alles war öde, ein nasskalter Abendwind blies vom Ber ge, und die grauen Regenwolken zogen das Tal hinein, aber das unfreundliche Wetter verdarb den Gefährten die Lau ne nicht: Dicht an dicht saßen die sieben im Musentempel um das Feuer, durch den Felsvorsprung vorm Niederschlag geschützt, gaben Histörchen und Lieder zum Besten und ließen die Flasche kreisen. Hier war es, dass sich durch einen unbedachten Ausspruch des Dauphins ein Riss durch die Gruppe zog, der sich bis zum Ende ihrer Zeit im Gebirge von Tag zu Tag weitete – bis endlich alles entzwei war.
Karl hatte, vom Wein berauscht und von der Weltklugheit seiner Begleiter begeistert, gesagt: »Wenn ich erst zurück bin in Versailles, Freunde, mache ich euch alle zu meinen Ministern.«
Kleist hatte wie die anderen herzhaft gelacht, aber sogleich an den beklommenen Mienen Goethes und Schillers abgelesen, dass Unbequemes hinter diesem Scherz verborgen lag.
»Was meinst du damit, Karl?«, fragte er.
»Ach, nichts«, antwortete Karl und versteckte sein Antlitz hinter dem Becher.
»Euer Exzellenz«, fragte Kleist nun Goethe, »was meint Karl damit – wenn ich zurück bin in Versailles ?«
Goethe sah für einen Wimpernschlag zu Schiller und seufzte dann. »Zwischen uns sei Wahrheit«, sagte er. »Es meint, dass beabsichtigt ist, Karl eines Tages seinen rechtmäßigen Platz als König von Frankreich zurückzugewinnen.«
Nun war Stille in der Runde und alle Augen auf den Geheimrat gerichtet.
»Wie soll das angehen? Was ist mit Napoleon?«
»Der wird, wenn es nach den Plänen verläuft, zu die sem Zeitpunkt schon nicht mehr unter den Lebenden wei len.«
»Dann war die Befreiung des Dauphins in Mainz nur der Anfang der Operation, an deren Ende seine Restauration auf den französischen Thron steht?«
»Ja. Aber dieser zwote, ungleich schwierigere
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