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Das Erlkönig-Manöver

Das Erlkönig-Manöver

Titel: Das Erlkönig-Manöver Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Löhr
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Schlafmütze.«
    »Achim, ich werde nicht gehen.«
    »Was?«
    »Ich kann nicht gehen. Der Kyffhäuser ist zum Mag netberg für mich geworden. Ihn zu verlassen hieße, den Olymp zu verlassen. Ich werde mich erst von ihm lösen können, wenn es die anderen auch tun.«
    Arnim ließ den Ranzen sinken, den er mit seinen Habseligkeiten gefüllt hatte. »Hast du mir eben zugehört? Und hast du’s gestern am Feuer getan?«
    »Sicherlich. Aber nichts, was wir tun oder lassen, wird den Lauf der Dinge aufhalten, und meinen Freunden bleibe ich treu.«
    Kraftlos ließ sich Arnim auf seine Decke fallen, und wie er dort saß, trennte er in trüber Laune die losen Wollfäden heraus, um sie auf einem kleinen Häuflein im Gras zu sammeln.
    »Sprich, wie du bist«, sagte er nach einer Weile. » Ihm bleibst du treu.«
    »Auch ihm, ja.«
    »So manches Mal denke ich, er ist eine Art Gottheit für dich.«
    »Aber freilich! Ist in den Goettern nicht Goethe auch enthalten?«
    Arnim betrachtete Bettine. Tränen wallten in seinen Augen. »Dann bin ich verloren. Wie sollte ich je einen Gott aus dem Herzen vertreiben können?«
    »Du kannst es nicht, du sollst es nicht! O Achim! O Goethe! ihr seid mir zwei werte Namen, und mit dir sein zu wollen ist ein Zwillingsbruder von der Begierde, mit Goethe sein zu wollen. Über meine Neigungen kannst du nicht disponieren, Achim, ebenso wenig wie ich es kann. Doch begreife ihn nicht als deinen Nebenbuhler: Denn wie einen Gott wirst du Goethe nie erreichen – aber wie einen Gott brauchst du Goethe auch nie zu fürchten. In ihm liebe ich den Gott, aber in dir den Menschen.«
    »Deine Worte tun mir weh.«
    Bettine legte ihre Hand, die noch warm war vom Schlaf, auf Arnims kühle Wange. »Kann ich die Schmerzen mit Küssen lindern?«
    Er schüttelte den Kopf. Dann stand er auf, nahm den Ranzen an den Enden hoch und ließ achtlos herauspurzeln, was er soeben sorgsam hineingetan hatte. Darauf ließ er den Ranzen selbst fallen und ging zum Zelt hin aus. »Falls jemand mich sucht, ich bin im Wald«, sagte er, ohne sich umzuwenden. »Dort bin ich freilich auch, falls mich, was viel wahrscheinlicher ist, niemand sucht.«
    Ohne Kompass, ohne Feldflasche und Proviant und ohne im Geringsten auf die Richtung achtzugeben, schlug sich Arnim in den Wald und lief, bis ihm die Füße schmerzten. Anfangs folgte er noch Pfaden, doch als er in seiner Hast den Pfad verlor, machte er sich nicht die Mühe, ihn wiederzufinden, sondern lief durchs Unterholz weiter. Je mehr Zweige ihm dabei ins Gesicht peitschten, je mehr Spinnennetze er zerriss, je mehr Sträucher und Dornen an seinen Hosen zerrten und je mehr das tote Holz unter seinen Absätzen krachte, desto lieber war es ihm. Wild und Vögel flohen vor ihm, wo er sich lautstark durch den Forst wälzte. Wenn er stolperte, stand er sogleich wieder auf, und wenn es an steile Abhänge ging, rutschte er achtlos auf dem Hosenboden und den Handflächen abwärts, ohne auf seine Kleider zu achten. Bald war sein Körper schweißgetränkt, und das blonde Haar klebte auf der nassen Stirn.
    Nach einer guten Stunde blieb er mitten im Lauf stehen, holte tief Luft und brüllte wie ein waidwundes Tier in den dunklen Wald, dass sein Schrei von den Bergwänden widerhallte. Im Lager hatte er vor aller Welt geschwiegen, aber hier in der stolzen Einsamkeit schrie er sich aus. Vor einem umgestürzten Baum ging er in die Knie. Er klammerte sich in der Verzweiflung am Stamme fest wie wilder Wein, und in dieser Umarmung des toten Holzes brach der Schmerz durch seine Dämme. Während Arnim weinte, wünschte er, er könnte mit dem Baum verwachsen wie ein Pilz oder eigene Wurzeln schlagen oder einfach dahinrotten wie eine abgestorbene Pflanze. Dabei sank er langsam, kaum merklich, am Stamm hinab. Morsche Rinde fiel ihm über das Gesicht. Schließlich lag er im trockenen Laub im Schatten des Stammes; wälzte sich darin, dass es in seinen Ohren rauschte wie ein böses Wetter, bis er über und über an seinem Rock und in seinem schweiß- und tränennassen Antlitz von Krümeln und feuchtem Erdreich bedeckt war. Der tröstliche Geruch des Moders umhüllte ihn. Die matten Glieder von sich gestreckt, blieb er am Waldboden liegen und starrte aufwärts, den schwarzen Stämmen nach in den hellen Morgenhimmel hinein. Die Bewegungen dort oben – das Hin und Her der Baumwipfel gegen den ebenmäßigen Zug der Wolken und das wahllose Trudeln toter Blätter zu Boden – benebelten seine Sinne, und er meinte, ohnmächtig

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