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Das Erlkönig-Manöver

Das Erlkönig-Manöver

Titel: Das Erlkönig-Manöver Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Löhr
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zu werden, aber sein Atem ging von Mal zu Mal gemächlicher, und sein Herz beruhigte sich. Irgendwo gurrte eine Taube.
    Etwas krabbelte auf seinen Fingern, und als er sich die Hand vor Augen führte, lief dort ein kleiner Käfer über die Haut. Arnim lächelte. Er war also nicht allein mit seinem Weltschmerz. Er drehte die Hand immerfort so, dass der Käfer, der aufwärts zu krabbeln gedachte, nie sein Ziel erreichte und stattdessen einen ewigen Kreislauf zwischen Handfläche und -rücken und den fünf Fingern vollführte. »Ich sollte mich freuen, dass Maria Stuart, Helena und Kleopatra tot sind«, flüsterte Arnim dem Insekt zu, »dass ich mich nicht auch in sie noch zu verlieben brauche.« Mit dem Zeigefinger der anderen Hand wollte Arnim dem Käfer über den schwarzen Panzer streichen, dieser aber reagierte ungebührlich auf dessen Herzlichkeit und zwackte ihn in eine Ader auf dem Handrücken – worauf Arnim die Hand gegen den toten Baumstamm hinter sich schlug, um das Insekt zu zerdrücken. Als er die Hand im toten Laub reinigte, ging ihm auf, dass dieser Käfer er war, und die riesenhafte Hand war Bettine, denn wohin er auch lief, nie kam er an, und Bettine konnte mit ihm spielen und ihn hinhalten, solange sie wollte, einfach indem sie die Hand drehte und dem kurzsichtigen, bejammernswerten Käfer Arnim vorgaukelte, er wäre bald am Ziel.
    Durch den Ruf eines fernen Posthorns wurde er aufgerüttelt. Er richtete sich auf, wartete, bis das Blut aus seinem Kopf geflossen war, und betete dann zu Gott, er möge ihm Kraft geben, die Schmerzen zu verschmerzen und Verzweiflung zu bezweifeln, oder ihn von seiner Liebe zu Bettine Brentano heilen. Unausgesprochen ließ Arnim den Wunsch, der Greis aus Weimar möge recht bald, geringstenfalls aber vor ihm sterben.
    Im Stehen klopfte er sich den Schmutz von den Kleidern, so gut es ging, und an einer Quelle wusch er sich Gesicht und Bart und das Harz von den Händen. Auf dem Rückweg sammelte er so viel Brennholz, wie er tragen konnte, von dem er mehr als nötig sogleich ins Lagerfeu er gab. Im Musentempel traf er lediglich Schiller an.
    »Ein solches Feuer hat großen Reiz«, bemerkte Arnim. »Die knisternde Flamme ist mit dem grünen Laub wie durchflochten, und halb brennend, halb grünend erscheinen die Blätter wie verliebte Herzen.«
    Auch den Rest des Tages verweilte Arnim am Feuer und legte mit befremdlicher Heiterkeit deutlich mehr Holz in die Flammen, als er selbst gesammelt hatte.

    Auch die folgenden Tage brachte Arnim vornehmlich allein im Wald zu, auf – wie er sagte – der Suche nach Feuerholz. Von einem seiner Streifzüge kehrte er ohne Holz, dafür aber mit großer Euphorie zurück, und sogleich berichtete er Bettine, Kleist und Goethe, die er vor den Zelten antraf, was ihm widerfahren war: Er war im Westen ihres Lagers auf die Überreste einer mittelalterlichen Raubritterburg gestoßen, einige Mauern, Keller und ein Brunnenloch, längst von Moos, Efeu und Birken überwuchert, und als er am alten Brunnen gestanden hatte, war urplötzlich ein Paar verliebter Schwalben durch ihn, je nun, hindurchgeflogen , und das von allen Tagen heute, an Maria Verkündigung. Arnim schwor, sich nie zuvor so eins mit Natur, Geschichte und Religion gefühlt zu haben. Bettine klatschte entzückt in die Hände und neidete Arnim dieses Erlebnis, aber Kleist fragte nach, was Arnim meine, wenn er sage, die Schwalben seien durch ihn hindurchgeflogen . Mit der Antwort zierte sich dieser lange Zeit, bis er endlich gestand, dass die Schwalben nicht wirklich durch ihn geflogen wären, sondern dass er vielmehr auf den Mauern der Ruine einem allzu menschlichen Bedürfnis nachgekommen sei und die zutraulichen Schwalben unter dem dadurch entstandenen Wasserstrahl hindurchgeflogen seien – eine Einschränkung, die das Ereignis aber keineswegs schmälern sollte.
    Er hätte über dieses Detail besser geschwiegen, denn nun brach Goethe in schallendes Gelächter aus. »Wenn das eure Romantik ist – an einem christlichen Festtag auf einer verfallnen teutschen Burg stehen und verliebte Vögel unter dem Harnstrahl –, ich könnte mir kein trefflicheres Bild denken!«
    »Von Ihnen habe ich keinen Applaus erwartet«, erwiderte Arnim kühl, »und ebenso wenig trifft mich Ihr Spott. Aber seien Sie versichert: Für nichts in der Welt würde ich diesen Moment in der Ruine gegen eine Ewigkeit in den marmorglatten, marmorkalten griechischen Tempeln eintauschen, die Ihr Œuvre bestimmen. Denn was Sie nie

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