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Das Erlkönig-Manöver

Das Erlkönig-Manöver

Titel: Das Erlkönig-Manöver Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Löhr
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blinzelte, sah zu Bettine und ließ sich Zeit für die so unerwartet geforderte Antwort.
    »Wieland sagt, ich würde die Geister des Aischylos, des Sophokles und des Shakespeare in mir vereinen«, sprach er schließlich. »Insofern stimme ich Herrn von Goethe zu, dass Dichtung zeitlos zu sein hat. Andererseits bin ich ein teutsches Herz von altem Schrot und Korn, und wenn er mir wie die Antike starr entgegenkommt, muss ich ihn bedauern. Denn darin liegt tatsächlich kein Herz.«
    Darauf wusste niemand der Kontrahenten etwas zu sagen. Bettine fragte schließlich: »Also?«
    »Ich kann kein Urteil fällen. Ich kann nur sagen, dass mir beider Werk gefällt und was mir an beider Werk missfällt: Herr von Goethe sucht sein Heil in der Antike, Achim sucht es im Mittelalter – warum, frage ich, sucht es keiner von beiden in der Gegenwart?«
    Auf diese Frage hatte weder der Klassiker noch der Romantiker eine Antwort, und Kleist konnte sich mit den Lorbeeren des lachenden Dritten schmücken; eine Freu de, die allerdings nur einen Tag andauern sollte.

    Schillers Gesundheit war in den ersten Tagen nach ihrer Ankunft auf dem Kyffhäuser noch blendend gewesen, und vergessen schienen der Husten und die Frostanfälle, von denen es nach seinem Rheinfall einige gegeben hatte. Seitdem hatten aber das feuchte Lager in der Senke und die bitterkalten Nächte so sehr an seinen Kräften gezehrt, dass er am folgenden Morgen von Frost geschüttelt und mit Schweiß auf der Stirn erwachte. So fand ihn Karl. In seiner Verzweiflung häufte der Jüngling alle Decken, die er im Zelt finden konnte, auf den Kranken und rannte hinaus, um Hilfe zu holen. Kleist und Humboldt waren auf die Jagd gegangen, und Arnim wollte Bettine die Stätte seines Naturerlebnisses zeigen. Nur Goethe war also anwesend.
    Als der Geheimrat seines kranken Freundes ansichtig wurde, legte er die Stirn in so ernste Falten, dass Karl beinahe in Tränen ausgebrochen wäre vor Angst um das Leben seines Lehrmeisters. »Wir brauchen ein Feuer na he bei ihm«, sagte Goethe.
    Sofort rannte der Dauphin zum Musentempel, um Feu erholz in die Senke zu bringen. Dort häufte er die Scheite vor dem Zelt auf, wie wenn schon seine Eile allein zu Schillers Genesung beitragen könnte.
    Goethe fasste derweil seinen Freund bei der Hand und sprach leise mit ihm. »Wenn Sie mir sterben, werde ich mir das nie vergeben. Und Ihnen auch nicht.«
    »Das ist nur eine Anwandlung«, erwiderte Schiller. Er zitterte jedoch so stark, dass die Zähne aufeinanderschlugen. »Ich sterbe nicht.«
    »Wenn Sie Ihren Körper sähen, würden Sie vielleicht anders sprechen. Denn der sieht recht mitgenommen aus.«
    »Es ist der Geist, der sich den Körper baut.«
    »Dann ist eben Ihr Geist mitgenommen.«
    Schiller lachte, und das Lachen mündete im Husten.
    Von draußen rief Karl: »Es ist so weit, Herr Geheimrat!«
    Mitsamt allen Decken und der Unterlage trugen die beiden Männer Schiller vors Zelt. Das Feuer brannte noch nicht, denn die Glut ihrer Feuerstelle unter dem Kalkfelsen war über Nacht erloschen, und Karl hatte zwar eine Büchse mit Feuerstein, Feuerstahl und Zunder, aber es mangelte an trockenen Spänen, auf denen das Feuer wachsen konnte.
    »Such im Zelt nach Papier«, wies ihn Goethe an.
    Karl durchsuchte ihr Zelt, schüttelte den Inhalt sämtlicher Ranzen auf den Boden, drehte alle Kleider um und hielt zum Schluss zwei Bücher in der Hand: Schillers Notizen und Kleists Lustspiel.
    »Nichts anderes?«
    Karl schüttelte den Kopf. Goethe griff nach der Komödie.
    »Ins Feuer mit dem Quark«, lallte Schiller.
    Goethe schlug die Mappe auf und riss die ersten acht Seiten heraus, Seite für Seite bei aller Eile mit Sorgfalt. Dann knüllte er die fünffüßigen Jamben zusammen und schob sie unter die Holzscheite. Sofort schlug Karl den Feuerstein, und wenig später gingen Kleists Dialoge in Flammen auf und mit ihnen das Holz. Es war ein schlechtes Papier, aber es brannte gut.
    Bald schwand auch Schillers Frost. Er zitterte nicht mehr, und nachdem er den Schweiß auf seinem Antlitz mit einem Tuch getrocknet hatte, trat kein neuer hervor. Goethe brühte einen Tee und nötigte Schiller, viel davon zu trinken. Karl wich nur von Schillers Seite, um neues Holz aufzulegen, und hielt die ganze Zeit dessen Hand. Auch in sein bleiches Angesicht kehrte allmählich die Farbe zurück.
    Erst als Schiller nach seiner Pfeife und Knaster verlangte, konnte auch Goethe wieder lachen. »Sie haben uns einen gehörigen Schrecken

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