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Das Erlkönig-Manöver

Das Erlkönig-Manöver

Titel: Das Erlkönig-Manöver Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Löhr
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begreifen werden, ist, dass Ihre Klassik ganz Kopf ist. Unsre Romantik aber ist das Herz.«
    »Das Herz? Die Leber wohl eher, wenn ich bedenke, welche Unmengen Weines Sie und Ihre romantischen Parteigänger sich durch die Gurgel fahren lassen, um ihre bizarren, fratzenhaften Phantasmagorien zu beschwören. Der reichte mühelos aus, alle Mühlräder des Heiligen Römischen Reiches anzutreiben!«
    »So lästert ein Greis, der die Jugend um ihr heißes Blut beneidet.«
    »Dies fieberkranke, überkochende Blut sollte ich neiden? Ich lehne dankend ab. Es ist wie Ihre form- und charakterlose Dichtung: ein Fass, wo der Böttcher vergessen hat, die Reifen festzuschlagen, und es auf allen Seiten hinausläuft. Und bringen Sie nicht mein Alter mit dem Alter meiner Dichtung durcheinander: Der Rost macht erst die Münze wert! Das Alte ist nicht klassisch, weil es alt, sondern weil es stark, frisch, froh und gesund ist, und das meiste Neuere ist nicht romantisch, weil es neu, sondern weil es schwach und krank ist. Das Klassische nenn ich das Gesunde und das Romantische das Kranke. Wenn wir nach solchen Qualitäten Klassisches und Romantisches unterscheiden, so werden wir bald im Reinen sein.«
    »So poltern Sie lustig drauflos und bemerken nicht einmal, dass Sie sich selbst widersprechen. Denn mein Knaben Wunderhorn haben Sie noch in den höchsten Tönen gelobt.«
    »Fürwahr, denn das Wunderhorn war auch klassisch: eine Auswahl von Volksliedern, die die Zeit überdauern werden. Lieder, die Sie nicht geschrieben, sondern nur zusammengetragen haben, wohlbemerkt. Seit dem Wunderhorn habe ich nichts von Ihnen gelesen, was mir gefallen hätte.«
    »Und mir geht es seit Ihrem Werther so. Ich missfalle seit einem Jahr – Sie hingegen tun es bereits seit dreißig.«
    »Ich kann über den Absatz meiner Literatur nicht klagen.«
    »Oh, Ihr Absatz ist sicherlich glänzend in den wohlhabenden Kreisen, für die Sie schreiben. Die parfümierten Fürsten mit alten Perücken, die sich den Sonnenkönig zurückwünschen, deren Trockenheit sich in Ihrem Œuvre aufs Peinlichste widerspiegelt und die Ihnen zweifelsohne dankbar dafür sind, dass Sie von den unerheblichen Sorgen einer Fürstentochter am Gestade einer griechischen Insel schreiben, lange vor unsrer Zeit und vor den lästigen Revolutionen, und nicht von den tatsächlichen Sorgen unsres Volkes heute. Goethe, Reimeschmied Seiner Durchlaucht, der schreibt, was die hohen Herren zwischen Fünfuhrtee und Maskenball in den Salons ihrer elfeinbeinernen Türme zu lesen wünschen.«
    »Und Sie hingegen begreifen sich als Repräsentant des Volkes? Zeigen Sie mir einen Bauern, ein Marktweib, einen Handwerker, der Ihre Narrenpossen kennt, oder besser noch: schätzt, und nicht nur deshalb zu Ihren Versen greift, um einen Fisch darin einzuschlagen. Sie werden keinen finden. Höchstens ein paar selbstvergessene Studenten, die im Mondesschein in Ihren Ritter-, Räuber- und Gespenstergeschichten träumen, wozu es ihnen um zusetzen in der Wirklichkeit an Mut gebricht. Ich bin al lemal lieber Mitglied meiner zeit- und staatenlosen Turmgesellschaft als Ihrer allzu vergänglichen deutschen Tischgesellschaft.«
    »Auch Ihre Tage sind gezählt. Sie können das Werdende in der Literatur nicht ewig unterdrücken.«
    »Ah! Es gibt doch keinen größeren Trost für die Mittelmäßigkeit, als dass das Genie nicht unsterblich ist. Sicherlich werde ich sterben, Herr von Arnim, aber meine Werke werden Ihnen zum Trotze weiterleben wie der griechische Marmor, den Sie vorhin bemüht. Die studentenhafte Dicht kunst Ihrer Romantiker, Neuchristen und neupatriotischen Schwarmgeister aber wird verfallen, verwachsen und vergessen sein wie die Burg, auf der Sie Ihr schrullenhaftes Tête-à-tête mit den Schwalben hatten. – War in Ihrer Sage nicht eigentlich von Raben die Rede?«
    »Ich wage Ihrer Prophezeiung zu widersprechen. Aber wir sind glücklicherweise nicht allein.« Hiermit öffnete sich Arnim erstmals seit Beginn des Disputs wieder der Runde. Bettine und Kleist hatten längst ihre Spielkarten niedergelegt, um dem rhetorischen Schlagabtausch zu lauschen. »Bettine zu fragen wäre nicht statthaft, denn von ihr weiß ich, dass sie die Meinung der Romantiker vertritt. Aber Kleist hängt keiner Schule an. Also, Hein rich, frei heraus, was denkst du: Wird Marmor oder Mauerwerk obsiegen?«
    Kleist, der sonst nicht mit Urteilen geizte, hatte sich in diesem Disput in der Rolle des unbeteiligten Zuschauers gefallen. Er

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