Das Erlkönig-Manöver
eingejagt, mein teurer Freund.«
»Ich gedenke, nicht früher und nicht anders zu sterben als mit achtzig Wintern auf dem Schlachtfelde, selbst dann noch kräftig genug, den Feldfrüchten bester Dünger zu sein. Ich möchte gern in dieser holprigen Welt noch einige Sprünge machen, von denen man erzählen soll.«
»Ihr Wort in Gottes Ohr«, sagte Goethe und nahm Schillers andere Hand in die seine.
Schiller drückte die Hände seiner Nachbarn und lächelte sanft. »Meine lieben Freunde. Sorgt euch nicht.«
Aus dem Wald kehrten nun Humboldt und Kleist zurück. Ein Kaninchen war in eine von Humboldts Fallen geraten, und dieser trug das tote Tier an den Löffeln. Mit Bestürzung hörten sie von Schillers kaltem Fieber, und Humboldt zog, nachdem er die Armbrust abgeladen hatte, sofort wieder los, um nach Kräutern zu suchen, die die Genesung des Kranken beschleunigen würden. Kleist setzte sich zu den anderen ans Feuer und begann, das Kaninchen auszuweiden, um, wie er sagte, Friedrichs Wohl mit einem saftigen Braten zu befördern. Eine Weile arbeitete er mit Messer und Fleisch still vor sich hin, doch dann fiel sein Blick auf die angebrannte Ecke einer Seite, die der heiße Aufwind von den Flammen fortgetragen hatte. Mit blutigen Fingern hob Kleist den Fetzen auf und erschrak, darauf seine eigenen halbverkohlten Wörter zu lesen. Er hatte die Mappe gegriffen und aufgeschlagen, ehe sich Goethe erklären konnte. Als er die Reste der herausgerissenen Seiten schaute, entglitt das Waidmesser seiner Hand, und er erstarrte, als wäre er einer Gorgone ansichtig geworden.
Goethe hob beschwichtigend die Hände. »Ich kann Ihnen diesen Umstand erläutern. Wir mussten eilig den Frost aus Herrn Schillers Gliedern treiben, und das Feuer war erloschen, und uns fehlten die Späne. Auf der dringlichen Suche fiel uns nun Ihr Buch in die Hand, und mit allergrößter Verlegenheit und schweren Herzens, bitte glauben Sie uns, haben wir uns entschlossen, einige Seiten davon Herrn Schillers Gesundheit zu opfern. Ich habe nichts als Worte, mich bei Ihnen zu entschuldigen, und hoffe, Sie nehmen meine Bitte um Entschuldigung an.«
»– – – Sie haben mein Werk verbrannt!«, schrie Kleist.
»Bewahre! nein, es sind nur die ersten acht Seiten – der erste Auftritt und ein Teil des zwoten –, die ich bereits gelesen habe.«
»Der Teufel hole Sie! Sie haben mein Lustspiel in Asche verwandelt, zum Henker!«
»So beruhigen Sie sich bitte, Herr von Kleist; Sie dramatisieren. Es handelt sich lediglich um die ersten acht Seiten einer Kopie .«
»Sie haben es verbrannt!«
»Ja doch, Kreuzdonner, weil wir nichts andres fanden!«
»Und das hier?«, rief Kleist, sprang auf und hob Schillers Notizbüchlein an einem Buchdeckel in die Luft, sodass eng beschriebene Seiten enthüllt wurden, aber auch kleine Skizzen von Menschen und Pferden. »Was ist hiermit? Was ist mit seinen Notizen? Es ist doch schließlich auch sein Feuer!«
»Ich bitte Sie: Sie werden doch wohl kaum die Notizen, Ideen für künftige Dichtungen, eines Friedrich Schil ler mit dem Duplikat Ihrer Komödie vergleichen. Erfreu en Sie sich doch vielmehr an der Tatsache, dass Ihr Werk vielleicht Herrn Schillers Leben gerettet hat.«
»Wollen Sie damit sagen, dass Friedrichs Werk dem meinen überlegen ist?«
»Herr im Himmel, darum geht es doch gar nicht –«
»Ist es überlegen? Sagen Sie es!«
»Herr von Kleist, so beruhigen Sie sich doch, das kann man doch gar nicht vergleichen.«
»Dann frage ich Sie anders: Haben Sie meinen Krug genossen? Haben Sie ihn gerne gelesen?«
»Ja, nun, mitunter. Ich habe ihn noch nicht ganz durch.«
»Was?«
»Einige wenige Seiten fehlen mir noch.«
»Sie sind seit mehr als einem Monat im Besitz dieses Buches, wissen, wie wichtig es mir ist, und haben es nicht einmal hier –« Mitten im Satz brach Kleist ab, zog seine Pistole aus dem Gürtel und legte auf Goethe an. Die drei sitzenden Männer erschraken gleichermaßen. »So helf mir Gott – dafür erschieß ich Sie!«
»Heinrich!«, rief Goethe, »ich bitte dich, entreiße dich dir selbst!«
»Herr Geheimrat, wo andre Menschen ein Herz im Busen haben, haben Sie eine – eine Wurst ! Aber ich lasse mich nicht länger zum Gespött eines klug schwätzenden Greises machen. Ich bin zu alt, mich vor Götzen wie Ihnen zu neigen, und alt genug, Sie für Ihre fortdauernden Beleidigungen zu strafen!«
Schlichtend wollte Karl zwischen die beiden treten, aber sofort richtete Kleist die Mündung auf
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