Das Erlkönig-Manöver
ihn und zischte: »Du naschst Blei, Capet, wenn du dich nicht augenblicklich niedersetzt.«
Karl gehorchte, und Schiller gebrach es an Kraft, auf zustehen: »Beim Barmherzigen, Heinrich«, sagte er, »un glücklich bist du schon, willst du es auch noch verdienen?«
»Ich werd’s nicht lange bleiben, beim Jupiter«, sagte Kleist und zog auch sein zweites Terzerol. »Die andre Kugel ist für mich.«
»Wo schwärmt der Knabe hin?«, fragte Goethe seine Kameraden. »Ich versichere Sie, Herr von Kleist, niemand will Ihnen Böses. Wie Sie sonst anderen zur Freude dichten, dichten Sie in diesem Fall ein seltenes Gewebe, sich zu kränken. Es war mir wirklich nur um das Papier bestellt, beim himmlischen Vater und all seinen Heerscharen!«
»Wenn dem so ist, dann sagen Sie mir aufrichtig, was Sie von meinem Lustspiel denken!«
Goethe stöhnte auf. Er schaute zu Schiller, der ihm zunickte. »Nun, dieser Krug hat viel für sich; aber er ist eine Art unsichtbares Theater, ein Lesedrama geradezu, welches, meiner Meinung nach, auf die Bühne zu bringen nicht ohne Schwierigkeiten gelingen wird. Und die Ge schichte eines Schurken, der ohne Unterstützung und oh ne Hoffnung auf Erfolg gegen seine Offenbarung ankämpft, erscheint mir etwas, mit der Bitte um Verzeihung, vorhersehbar.«
»Dann wollen Sie ihn am Weimarer Theater nicht geben?«
»Eher nicht. Es tut mir leid, aber der erste Undank ist besser als der letzte, nicht wahr?«
»Nur wird dieser erste auch Ihr letzter sein«, sagte Kleist und spannte den Hahn.
»Du willst ihn doch nicht ermorden?«, fragte Schiller.
»In der Tat, das bin ich sehr gesonnen.«
Goethe schüttelte verständnislos den Kopf. »Heinrich, mir graut’s vor dir.«
»Die Welt hat nicht Raum genug für mich und Sie«, sagte Kleist und warf die zweite Waffe Goethe in den Schoß. Der Griff war rot vom Blut des Kaninchens. »Da, nehmen Sie diese Pistole.«
»Weshalb?«
»Wir klären im Duell, wer von uns beiden nicht länger verdient, auf dieser Erde Rund zu wandeln.«
»Sie sind gefühlsverwirrt.«
»Nehmen Sie diese Pistole, sag ich!«
»Herrje, nun seien Sie doch nicht so tassohaft-sensibel, wenn man Ihre Argumente nicht gelten lässt.«
»Soll ich’s Ihnen zehnmal und wieder zehnmal wiederkäuen? Nehmen Sie die Pistole, Sie Brandstifter!«
»Wenn ich ein Leid habe, mach ich ein Gedicht daraus. Sackerlot, wenn ich auf jeden schösse, der mich kritisiert, Weimar hätte bald keine Bürger mehr.«
Ein weiteres Mal hob Kleist die Pistole so, dass Goethe direkt in den Lauf sehen konnte. »Ziehen und folgen Sie, wenn ich Sie nicht auf ewig, wie ich Sie hasse, verachten soll!«
Goethe nahm die Waffe auf. Er spannte den Hahn und feuerte die Kugel kurzerhand in den Himmel. Der Knall hallte die Hänge des Berges hinab und scheuchte die Raben auf. Noch während es aus der Mündung schmauchte, warf Goethe die Pistole achtlos hinter sich ins Gras und verschränkte die Arme vor der Brust. Kleist war ratlos, ließ das Terzerol aber nicht sinken. Karl und Schiller blieben stumm.
Durch den Schuss alarmiert, kam schließlich Humboldt durch das Gehölz gerannt. Ein einziger wacher Blick, und er hatte die eigenwillige Szene erfasst. Mit einem Satz war er bei Kleist und wand ihm die Pistole aus der blutigen Hand.
»Es wäre Notwehr gewesen«, murmelte Kleist. Humboldt nickte und führte den gefügigen Kameraden an der Hand fort vom Lager.
Sie liefen eine Weile ziellos durch den Hain, bis sie schließlich eine kleine Lichtung erreicht hatten. Dort gab Humboldt Kleists Hand frei und drehte sich zu ihm um. Er blickte wütender drein, als Kleist ihn je gesehen hatte, und atmete schwer.
»Seit ich ihn kenne, habe ich Goethe gehasst«, greinte Kleist, »aber erst seit heute weiß ich, warum.«
Hierauf versetzte ihm Humboldt eine Maulschelle mit der rechten Hand, die so kräftig war, dass sie Kleist die Tränen in die Augen trieb. Entgeistert hielt sich Kleist die geschlagene Wange.
»– Alexander! Was tust du?«, rief er.
»Was ich tu, fragst du? Was ich tu? Frag dich doch selbst, du dreifach dämlicher Erznarr! Wer denn außer dir wollte gerade dem Schöpfer des Werther, des Meisters, des Egmont Pulver und Blei in den Schädel blasen? Ich hätt dich mir besonnener gewünscht!«
»Du warst nicht zugegen – er hat mein –«
»Und dankbar bin ich drum, dass ich nicht zugegen war! Mir ist ganz gleich, was er getan hat; viel braucht’s freilich nicht, dich in Raserei zu versetzen! Ich hab geschwiegen,
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