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Das Erlkönig-Manöver

Das Erlkönig-Manöver

Titel: Das Erlkönig-Manöver Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Löhr
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sie lebten, offensichtlich auch ihn verwildert habe. Diese artige, wenn auch etwas kühle Erklärung hörte Goethe nickend an und bat seinerseits um Verzeihung für das unbedachte Niederbrennen der Verse. Die anderen wussten nun, dass alles beigelegt war – und nichts.
    In der Nacht benötigten Kleist und Humboldt kein Feuer mehr, sich zu wärmen, denn eng an den anderen geschmiegt wärmten sie einander. Im Schutz des Musentempels versprach Humboldt, Kleist auf seine nächste Reise mitzunehmen, und der gelobte, niemals zu heiraten, und dass Humboldt ihm Frau, Kinder und Enkel zugleich sein sollte, und beschwor das Bild ihres hervorragendsten Landsmannes, des großen Friedrich, in dessen Herz keine Frau je so viel Platz fand wie sein Busenfreund und Vertrauter, der Leutnant Katte. Kleist schnitt sich zum Andenken eine Locke von Humboldts Haupthaar. Mit einer Schleife verbunden verstaute er sie in seiner Westentasche über dem Herzen, und Humboldt musste versprechen, dass er sicher mit den Männern des Herzogs von Weimar zurückkehrte. »Denn wenn du das nicht tust, mein Augenstern, mein lieber, bester Herzens-Humboldt«, flüsterte Kleist, »fühl ich, dass mich niemand auf der Welt liebt.« Humboldt gab sein Wort und besiegelte es mit vielen heißen Küssen. Am Morgen des nächsten Ta ges machte er sich mit den besten Wünschen aller auf den Weg nach Weimar.

9
    UNTERWELT

    Der Tag von Humboldts Abreise, der 27. März, war zugleich der zwanzigste Geburtstag Louis-Charles’ de Bourbon, wiewohl er selbst ihn ganz vergessen hatte über die vielen Jahre, in denen sein Jubiläum nicht begangen worden war. Schiller musste ihn erst daran erinnern, und zur Feier des Tages unternahm er am Nachmittag mit dem Jubilar einen Ausflug zu dem von Humboldt und Kleist so gerühmten Wasserbecken. Sie hatten vorsorglich ein Stück Seife mitgenommen, und obwohl das Wasser kalt war und zudem ein garstiger Wind ging, wusch Karl sich ausgiebig. Hier also, während der Dauphin seinen nassen Leib trocknete, geschah es, dass Schillers Blick unwillkürlich auf dessen Schenkel fiel, dorthin, wo sich das von Madame de Rambaud beschriebene Muttermal in Form einer Taube befinden musste. Aber die Haut war weiß und rein, und auch der Rest des Schenkels und des anderen war frei von jeglichen Mut termalen. Schiller erschrak, unterdrückte aber den Im puls, Karl sogleich danach zu befragen. Stattdessen sagte er wenig später, als sie ihre schmutzige Wäsche mit Seife auf den Steinen sauber scheuerten: »Agathe von Rambaud erzählte mir von einer Mademoiselle Dunois, die dich als kleinen Bub zu waschen pflegte, und dass es dein liebstes Spiel war, das Seifenstück über die nassen Fliesen rutschen zu sehen.«
    Karl lächelte und erwiderte: »Ja, ich erinnere mich gut. Das war drollig.«
    Diese Antwort wühlte Schiller weiter auf, aber er nahm alle Kraft zusammen, sich nichts anmerken zu lassen. Auf dem Weg zurück ins Lager zeigte er sich wortkarg. Daselbst las er seine Aufzeichnungen aus dem Hunsrück, und bei der ersten sich bietenden Gelegenheit bat er Goethe auf ein Wort unter vier Augen. Sie gingen einige Schritte bis zum dem Flecken, wo der Bach den Pfad zum Rabenfelsen kreuzte.
    »Frei heraus«, sagte Goethe, »welche Laus lief Ihnen über die Leber?«
    Schiller lehnte seinen Wanderstab gegen einen Baum, bevor er sprach. »Wie soll ich diese Widersprüche rei men? Ich kann es selbst nicht. – Hören Sie: Vor anderthalb Stunden sah ich Karl beim Bade, und das Muttermal, welches mir sein Kammermädchen so ausführlich beschrieben, war nicht zu entdecken . Fort, als ob nie dagewesen. Ich habe noch einmal in meine Notizen gesehen, aber Frau von Rambauds Schilderung war unmissverständlich: ein Muttermal am Schenkel in Form einer Taube. Und dies, nachdem ich es war, der Karl heut Morgen darauf hinwies, dass er Geburtstag hat. Der Kna be Karl fängt an, mir fürchterlich zu werden.«
    »Er wird es vergessen haben. Fix! Ich wüsste nach all der Zeit in der Einsiedelei auch nicht mehr, welchen Wochentag wir heute schreiben.«
    »Hören Sie weiter: Denn zuletzt sprach ich ihn auf ein Erlebnis seiner Kindheit an – beim Bade, mit einer Mademoiselle Dunois. Sagt er: Ja, ich erinnere mich gut .«
    »Und?«
    »Es existiert keine Mademoiselle Dunois!«, sagte Schiller eindringlich. »Ich habe sie frei erfunden, wie ich auch das Erlebnis beim Bade erfunden habe, an das er sich zu erinnern vorgab!«
    Goethe blinzelte. »Und Sie wollen damit bedeuten

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