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Das ermordete Haus

Das ermordete Haus

Titel: Das ermordete Haus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Pierre Magnan
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Lungenentzündung gestorben ist.«
    Mit seinen weißen Brusthaaren, seinen Säbelbeinen und seinen kurzen, mageren Oberarmen fast ohne Muskeln stand er schon in langer Unterhose da, als die Flammen zu knistern begannen. Er setzte sich mit dem Rücken zum Fenster.
    »Wenn’s einen erwischt, Junge, dann meistens am Rücken! Du bist zwar kräftig, aber verlaß dich nicht drauf! Je kräftiger einer ist, desto anfälliger sind seine Lungen. Ich hab in meinem verdammten Leben schon zwei gekannt, Straßenarbeiter und fast genauso kräftig wie du … Nach einer Dusche wie der von eben haben die keine Woche gebraucht, bis sie hinüber waren. Und, nur um dir klarzumachen, was das für Kerle waren: Sechs Mann hat man gebraucht, um den Sarg zu tragen …«
    Er richtete sich auf, packte seine weite Hose am Gürtel und schüttelte sie kräftig, so daß die Hagelkörner, die sich in ihr gesammelt hatten, wie Murmeln auf die Erde prasselten.
    Draußen war das Unwetter in vollem Gang. Hin und wieder sprangen einige Hagelkörner durch den Schornstein hinunter in den Kamin. Burle hatte sich aufgewärmt und steckte sich ein neues Stück Kautabak in den Mund.
    »Stell dir mal vor, Junge, das Holz, das da brennt, das ist vor dreiundzwanzig Jahren geschlagen worden – da ist es wirklich trocken … Was machst du? Hörst du mir überhaupt zu?«
    »Ich schau mich um«, sagte Séraphin. Die hell lodernden Flammen des Reisigs hatten nun die Schatten aus den hintersten Winkeln des Raums verjagt.
    »Mach die Tür zu!« befahl Burle. »Wenn der Blitz erst einen Luftzug spürt …«
    Séraphin gehorchte. Hinter der Tür hingen zwei Kutschermäntel am Haken, die die Motten aus unersichtlichen Gründen  verschmäht hatten. Daneben hing  eine Fuhrmannspeitsche und eine Blendlaterne. Den Falten der Mäntel entströmte noch immer Pferdegeruch.
    »So so, du heißt also Séraphin Monge?« begann Burle.
    »Ja.«
    »Dann bist also du der, den man mit drei Wochen zu den Barmherzigen Schwestern gebracht hat?« Er schlug sich mit der Hand auf die Schenkel. »Was für eine üble Geschichte, mein Lieber! Man fand einfach niemanden, verstehst du? Die Ammen schlotterten vor Angst – nicht daß es keine versucht hätte! Doch sie sagten, ihre Brust würde gefrieren, wenn sie dich anlegten! Sie konnten nicht anders, sie rissen dich von ihrer Brust. Und du hast geschrien! Eine üble Geschichte! Endlich fand man eine aus der Gegend von Guillestre, die hatte einen Kropf- und trotzdem mußte der Priester ihr erst von den Leiden Christi erzählen, ehe sie es versuchte! Also du bist dieser Séraphin Monge! Junge, Junge, das ist dir aber gut bekommen!«
    Er duckte sich. Im Hof schlug ein Blitz ein, und obwohl die Tür vollkommen zu und der Laden vor der Fensterluke geschlossen war, ließ sein helles Licht die Flammen im Kamin verblassen.
    »Tod und Teufel! Der kriegt uns noch, der Hurensohn! Da hat man nun den Krieg und die Spanische Grippe überstanden, um am Ende vom Blitz erschlagen zu werden!«
    Burle machte eine drohende Geste nach draußen, wo dicht über der Durance das Gewitter tobte. Séraphin stand völlig nackt und unbeweglich in der Ecke am Feuer und zuckte weder bei den grell leuchtenden Blitzen noch beim ohrenbetäubenden Donner. Sein aufmerksamer Blick nahm von allem Besitz, was da war; er schweifte von der Brottruhe über den Schrank mit seinen rauchgeschwärzten Türen bis zur großen Standuhr, die in der hintersten Ecke stand. Das Pendel war durch das verschmutzte Uhrglas nicht mehr zu erkennen, doch das Zifferblatt war sauber. Die Uhr zeigte zwanzig vor elf. Zu diesem Zeitpunkt waren die Gewichte am Boden angekommen und das Uhrwerk stehengeblieben.
    Séraphins Blick wanderte von dort zu den auf den Fliesen aufgereihten Korbflaschen, dem Spülstein mit den roten Kacheln, zu den Töpfen und Pfannen und dem Kalender, der schief an der Wand hing. Lange ruhte sein Blick auf dem von Bänken und Stühlen umstandenen Tisch. Eine Wachstuchdecke mit dunklen Flecken lag darauf, die in der Mitte einen großen Riß hatte.
    Von der Tischkante fiel sein Blick auf ein Möbelstück, das zwischen den Preßmatten, die man zur Olivenölgewinnung brauchte, unterhalb der Anrichte stand. Es war eine kleine Wiege, kaum fünfzig Zentimeter hoch, die da auf dem Boden stand und deren Gitterstäbe im Feuerschein rot leuchteten. Trotz der dicken grauen Staubschicht, die sie bedeckte, ließ der Lichtschein der Flammen die geschnitzten Rosetten, mit denen die Wiege geschmückt

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