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Das ermordete Haus

Das ermordete Haus

Titel: Das ermordete Haus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Pierre Magnan
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Burle hinzu.
    Und dann schwieg er.
    »Moungé l’Uillaou …« wiederholte Séraphin.
    »Dein Vater …« murmelte Burle. Er zeigte auf eine Stelle neben dem Kamin. »Und seine Hände, seine Hände! Seine Handabdrücke waren auf dem Salzbehälter! Sieh mal an, man kann sie sogar noch sehen, da am Salzbehälter, die schwarzen Flecken.« Er drehte sich zu Séraphin um. »Man hat sich nie erklären können, wie er es bis dahin geschafft hat, weil nämlich …«
    Mit großen Schritten ging er zum Tisch. »Der Mörder hatte ihn nicht richtig erwischt. Auch Monge hatte einen Schnitt am Hals wie eine Schlachtsau, aber nicht rundherum. Er muß sich verteidigt haben, als ob ihm jemand einen Sack voll Gold stehlen wollte. Schau!« Er zeigte auf den Riß in der Tischdecke. »Schau dir diesen Tisch genau an: Der ist aus Nußbaum. Als dein Vater starb, war der Tisch schon über hundert Jahre alt, und Nußbaumholz wird mit dem Alter immer härter. Also schau genau hin! Siehst du das Loch? Und die dunklen Flecken drum herum, die aussehen wie vergossener Wein? Das ist immer noch das Blut deines Vaters! Der Mörder hat ihn mit dem Weihnachtsbratspieß durchbohrt, der dort an der Wand hing. Und dein Vater … Mit dem Ding im Leib hatte der noch die Kraft, sich bis zum Salzbehälter zu schleppen.« Burles Finger blieb einige Sekunden lang anklagend auf das Corpus delicti gerichtet.
    »Man hat nie herausgekriegt, warum«, schloß er.
    Langsam und mit schleppenden Schritten, als ob er jeden Augenblick zusammenbrechen könnte, legte er den Weg zu dem Platz zurück, wo Moungé l’Uillaou hingefallen war, als würden Worte nicht genügen, um die Szene zu beschreiben. Dabei preßte er die Hände um einen unsichtbaren Spieß in seiner Brust. Er hörte ein Geräusch wie von gequältem Holz – es war Séraphin, der sich auf einen Stuhl hatte fallen lassen.
    »Soll ich aufhören?« fragte Burle.

»Nein«, antwortete Séraphin.
    Da ging Burle auf den dunklen Schrank zu, der ganz hinten im Raum stand. Daneben befand sich die Falltür, die in den Keller und zu den Ställen führte; sie ließ sich mit Hilfe eines Eisenrings öffnen, der seltsamerweise nach oben zeigte, und ihre Umrisse waren trotz der Staubschicht noch gut zu erkennen. Burle zog kräftig an der kleinen Hanfschlaufe, mit der man den Schrank öffnen konnte. Und dann hörte man trotz des Donners und der prasselnden Hagelkörner, wie die feinen Spinnweben zerrissen und wie sich die verrosteten Scharniere der Tür mit einem trostlosen Seufzer drehten, wie ihn seit langem unbenutzte, leblose Dinge von sich geben.
    Burle machte die Tür weit auf und zeigte mit ausgestrecktem Finger ins dunkle Innere. Er verharrte in dieser Stellung. »Deine beiden Brüder … die lagen da drin, ordentlich aufgestapelt …
    Auch sie mit aufgeschlitzter Kehle, genau wie dein Vater und der alte Opa. Man hatte sie da hingeschleppt, ich weiß nicht warum. Die Blutspuren führten geradewegs vom Tisch bis zum Schrank …« Bei den Worten »mit aufgeschlitzter Kehle« beschrieb er mit der Handkante den entscheidenden Schnitt am eigenen Hals. Mit seinen kurzen Armen und seinen ausdrucksstarken Händen zeichnete er das wilde Getümmel jener unbekannten Personen nach, deren Bild nach dreiundzwanzig Jahren verblichen war, deren dunkle Schatten jedoch Burles Stimme in der Enge dieses Raums in namenlosem Grauen erzittern ließen.
    Nach der Schilderung der Szene mit dem Schrank schien er zu stocken. Er stand mitten im Zimmer, mit hängenden Schultern, und starrte auf die grauen Staubflocken zu seinen Füßen, die den gefliesten Boden bedeckten.
    »Und an dieser Stelle«, sagte er zögernd, »ich glaube jedenfalls, daß es da war … ja, genau da muß es gewesen sein, mitten im Weg, denn später mußte man um sie herumgehen, um den Schrank mit deinen Brüdern zu öffnen, … ja, genau da war es: Da lag die Girarde auf dem Boden, mit hochgeschobenen Unterröcken.«
    Er hörte wieder das Krachen des Stuhls, auf den sich Séraphin mit weichen Knien von neuem hatte fallen lassen.
    »Nein, beruhige dich, man hat sie nicht vergewaltigt«, beeilte sich Burle hinzuzufügen.
    »Meine Mutter …« sagte Séraphin mit tonloser Stimme.
    »Ja, deine Mutter«, bestätigte Burle, »also paß auf: Auch ihr hatte man die Kehle rundherum aufgeschlitzt, aber, und das soll einer verstehen, sie hatte als einzige die Augen zu, alle anderen schauten einen noch an.«
    »Hat sie … gelitten?«
    Séraphins Frage ging in einem Donnerschlag

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