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Das ermordete Haus

Das ermordete Haus

Titel: Das ermordete Haus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Pierre Magnan
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gemacht. Er hatte genau den Blumenstrauß getroffen, der einst unbeholfen dort hingepinselt worden war. Er hatte die Uhr ausgeweidet, das Uhrwerk und das Pendel herausgerissen. Die Teile hatte er auf den etwas aus den Fugen geratenen Tisch gelegt, der jedoch immer noch gut standhielt. Er dachte, daß die Wiege ebenso leicht kleinzukriegen sein müßte wie die Uhr, allein mit Fußtritten. Aber den ersten Tritt bekam er bis in die Knochen zurück, bis zum Ansatz des Schenkels; der zweite, der genauer traf, brachte das Möbel auf seinen wie ein Joch geschwungenen Kufen zum Kippen, so daß der scharfe Rand des Geländers Séraphin mit voller Wucht ans Schienbein traf. Wütend schleuderte er die Wiege gegen die Wand, jedoch, als ob sie aus Gummi gewesen wäre, sprang sie in die Mitte des Raums zurück. Hochmütig und wie ein Spinnrad schnurrend, wiegte sie sich auf ihren Kufen. Glücklicherweise war der Kamin so groß, daß sie in voller Größe hineinpaßte. Séraphin hob sie hoch, um sie ins Feuer zu werfen. Völlig außer Atem riß Marie Dormeur die Tür auf. Sie sah Séraphins Bewegung. Sie stürzte sich auf die Wiege und umklammerte mit beiden Händen die Sprossen des Geländers.
    »Verschwinden Sie!« knurrte Séraphin.
    »Hören Sie mal. Wissen Sie überhaupt, wen Sie vor sich haben?«
    »Ja, Sie sind die Bäckerstochter. Sie sollen verschwinden, hab ich gesagt!«
    »In diesem Ton hat noch niemand mit mir gesprochen!«
    »Ich spreche mit Ihnen, so gut ich es eben kann.«
    Sie rangen heftig miteinander um die schaukelnde Wiege, die zwischen diesem Schrank von einem Kerl und dem kräftigen Mädchen hin und her sprang. Durch die heftigen Stöße, die sie ihr versetzten, erhielten die beiden ihrerseits manchen kräftigen Schlag zurück.
    »Schämen Sie sich nicht«, schrie Marie, »diese Wiege zu verbrennen, in die Sie Ihre Kinder legen könnten?«
    Ohne vom Kampf um die Wiege abzulassen, schüttelte Séraphin den Kopf und antwortete ruhig:
    »Nie und nimmer! Ich werde niemals Kinder haben.«
    »Aber ich will welche!«
    Séraphin war verblüfft über diese Antwort, und das nutzte Marie aus; nach einem kräftigen Ruck hielt sie die Wiege schließlich allein in den Händen. Sie umklammerte sie sofort mit den Armen, preßte sie an ihre Brust und wich zur Wand zurück, fest entschlossen, sie sich nicht wieder nehmen zu lassen, weder Fausthieben noch Fußtritten nachzugeben.
    »Na bitte, wer hindert Sie daran?« sagte Séraphin. Er nahm eine der Bänke, die rings um den Tisch gestanden hatten, und übergab sie den Flammen. »Dann nehmen Sie sie doch, wenn Sie sie unbedingt haben wollen!«
    »Und ob ich sie nehme!« Schnell drehte Marie sich um und rannte mit der Wiege im Arm nach draußen. Sie öffnete den Kasten, der an ihrem Rad befestigt war und in dem man Lasten verstauen konnte, und legte die Wiege hinein. Dann kehrte sie ins Haus zurück, schloß die Tür hinter sich und musterte Séraphin von Kopf bis Fuß.
    »Jetzt wissen Sie, was ich will …« sagte sie.
    Aber plötzlich unterdrückte sie einen Aufschrei hinter der vorgehaltenen Hand. Sie hatte die Leiche der Standuhr gesehen, die ausgeweidet auf dem Boden lag. »Mein Gott!« stöhnte sie auf.
    Es schien ihr, als ob er mit der Zerstörung der Uhr ein ebenso unverzeihliches Verbrechen begangen hatte wie mit dem Versuch, die Wiege zu vernichten. Sie bemerkte das achtlos auf den Tisch geworfene Uhrwerk und das Pendel. Sofort stürzte sie sich darauf.
    »Das da«, meinte sie, »das wirst du nicht verbrennen können!« Sie drückte das Uhrwerk mit dem mit Blumen bemalten Zifferblatt an sich, und wie eine Diebin nahm sie es mit und verstaute es zusammen mit dem Pendel in ihrem Rad, genauso sorgfältig, wie sie es mit der Wiege getan hatte.
    Séraphin war ihr gefolgt. Aufmerksam beobachtete er ihre Bewegungen und schüttelte den Kopf. Er seufzte tief. Es war der erste Seufzer, den er hören ließ, seit seiner Rückkehr aus dem Krieg und nach den Erzählungen des alten Burle über jene entsetzliche Nacht.
    Am Fuße einer der Zypressen stand ein Gebilde aus geschwärztem Kalkstein, das einmal das verzierte Kapitell einer Säule gewesen war, die aus einer Kirche stammte. Irgendeiner von Séraphins Vorfahren hatte es wohl dort hingebracht, um sich an Sommerabenden darauf auszuruhen. Dort ließ Séraphin sich niedersinken, und seine Hände baumelten schlaff zwischen seinen Beinen.
    »Komm her«, sagte er dumpf. Marie kam näher. Sie glitt lautlos neben ihn, vorsichtig, als ob

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