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Das ermordete Haus

Das ermordete Haus

Titel: Das ermordete Haus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Pierre Magnan
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ihren Sohn zu werfen. Keine Spur mehr von der langsamen und sinnlichen Bewegung, mit der sie sich eben noch über ihn breiten wollte. Und im übrigen schien es Séraphin, als hindere irgend etwas in ihren Augen, so unnatürlich weit sie auch geöffnet waren, sie daran, ihn zu sehen.
    Bisher hatte er es für unmöglich gehalten, daß man im Traum Gerüche wahrnehmen könne. Als er jedoch schweißgebadet, mit einer heftigen Erektion erwachte, hatte er immer noch ein wenig von dem Geruch des kalten Rußes in der Nase. Bis zum Morgen kämpfte er verbissen gegen den Schlaf an, aus Furcht, in seinen Traum zurückzugleiten.
    Eines Tages war der Frühling da. La Burlière bot immer noch das scharfkantige Bild eines großen, offenen Sargs, aber nun hatte man den Eindruck, das Haus werde gleich in der Erde versinken, so niedrig war es inzwischen geworden. Die Zypressen, die wie Kerzen an den Ecken standen und Wache hielten, erschienen doppelt so hoch, seit das Anwesen sich so eng an den Boden schmiegte.
    Wie so oft war die Durance plötzlich angeschwollen, und Sturzbäche schlängelten sich wild über die Uferböschungen, wie Nattern, denen man auf den Schwanz tritt. Sintflutartige Regenfälle gingen zwei Wochen lang auf die tiefer gelegenen Schneefelder und auf die Hänge nieder, die die Nebenflüsse der Durance speisten.
    Als das reißende Hochwasser zurückging, stellte Séraphin mit Befriedigung fest, daß es den Damm aus Bauschutt mitgerissen hatte, den er zwischen den mit Weiden bestandenen Inseln errichtet hatte. Eine völlig saubere Bank aus glattem Sand breitete sich über die Reste.
    Was vom Mauerwerk blieb, war weich wie ein eingetunktes Stück Zucker geworden und brach widerstandslos unter den Hieben der Spitzhacke zusammen.
    Am Ostermorgen gab Séraphin die Küche von La Burlière der Sonne preis. Durch die abgerissene Decke konnten die Sonnenstrahlen bis in den kleinsten Winkel dringen. Sie trafen auf das gehämmerte Blech des Kamins, ergründeten die Tiefen des Wandschranks und fielen auf die olivgrünen Fliesen.
    Gegen elf Uhr war ein kurzer Schauer niedergegangen, ein heller und reinigender Regen, der sogleich im leichten Wind und in der zurückgekehrten Sonne abgetrocknet war. Da bemerkte Séraphin, der auf seine Spitzhacke gestützt dastand, daß die Blutspritzer an den Wänden, die bisher wie eingetrocknete Wagenschmiere ausgesehen hatten, plötzlich in allen Farben schillerten. Der Wechsel von Licht und Schatten ließ sie aufleben. Séraphin erschauderte. Er hatte alles niedergerissen, um endlich soweit zu sein: An den Wänden und auf dem Boden wollte er diese unauslöschlichen Spuren tilgen, die sich regelmäßig Nacht für Nacht an ihrem angestammten Platz einfanden und die Erinnerung an seine Herkunft befleckten. Und nun verhalfen die Launen des Lichts ihnen zu neuem Leben, wie Flechten, die der Regen nach jahrelanger Trockenheit wiederbelebt. Es war ihm, als wollten sie ihm etwas mitteilen.
    Wenn sie ihm in der kommenden Nacht nicht lebhafter denn je erscheinen sollten, mußte er sie noch vor dem Abend vernichten. Vor allem mußte er so schnell wie möglich zu den beredtesten Spuren vordringen, zu denen, die Monge der Blitz rund um den Salzbehälter hinterlassen hatte, unter dem Stützpfeiler des Kamins, auf der rechten Seite, etwas mehr als eineinhalb Meter über der Feuerstelle.
    Séraphin  bearbeitete den Kamin mit  heftigen Hammerschlägen, und sofort drang ihm der Geruch von kaltem Ruß in die Nase. Bald schon atmete er diesen Ruß ein, der sich nach und nach löste, während er den Rauchfang abtrug. Bald war Séraphin vollständig mit Ruß beschmiert. Als er sich die Stirn mit dem Handrücken abwischte, verschmierte er auch sein Gesicht damit. Es roch nicht nach gewöhnlichem Ruß, sondern nach diesem sonderbaren Muff, der um den Körper seiner Mutter herum wahrzunehmen gewesen war, in der Nacht, in der er den Traum gehabt hatte.
    Nun blieb nur noch eine Fläche von ungefähr zwei Quadratmetern übrig, der Rest des oben schon zerstörten Rauchfangs, über dem man die Steineichen glänzen sah. Schubkarre für Schubkarre räumte Séraphin sorgfältig alle Steine, alle Gipsplatten weg, an denen der Ruß haftete. Nur noch gut zehn Zentimeter, und er würde endlich zu der Stelle gelangen, an der die Finger seines Vaters ihre roten Abdrücke hinterlassen hatten, und er würde sie zerstören, er würde sie zu Staub machen, er würde sie in die Durance werfen. Wie so oft am Tag spuckte er in die

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