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Das ermordete Haus

Das ermordete Haus

Titel: Das ermordete Haus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Pierre Magnan
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zweihundertsechsundsiebzig Franc. Die Gesamtsumme ist am Tag des hl. Michael 1896 unter Strafandrohung fällig. Gegeben zu Lurs, am Tag des hl. Michael, 1891.
    Zwei Unterschriften folgten, die noch einmal auf dem links unten angebrachten Stempel standen.
    Bis auf die Namen und die Geldbeträge hatten die Texte der beiden anderen Schuldscheine den gleichen Wortlaut. Zu einem Zins von dreiundzwanzig Prozent lieh Félicien Monge Didon Sépulcre, Ölmüller in Lurs, auf fünf Jahre tausend Franc, und zu den gleichen Bedingungen verlieh er eintausendfünfhundert Franc an Gaspard Dupin, Schmied in Les Mées.
    Tausend Franc, tausendzweihundert Franc, tausendfünfhundert Franc – wieviel war das damals? Séraphin erinnerte sich daran, daß in den Belegen, die ihm Maître Bellaffaire vorgelegt hatte, vom Verkauf von Ackerland die Rede gewesen war, das mit hundert Franc pro Hektar in Rechnung gestellt worden war. Hundert Franc im Jahre 1897 oder 1898, also fünf von den Münzen, die da auf dem Wachstuch lagen. Das hieß doch, daß man sich damals mit tausend Franc zehn Hektar Land kaufen konnte, auf diesen fruchtbaren Böden hier im Tal. Das war also eine stattliche Summe damals, tausend Franc, und dazu kam dann noch dieser unglaubliche Zinssatz von dreiundzwanzig Prozent pro Jahr. Das reichte schon – o ja, das reichte durchaus –, um einem Mann den Tod zu wünschen … Einem Mann und seiner ganzen Familie … Drei Unbekannte … Drei Männer von hier … Es waren also sehr wohl drei Männer von hier gewesen, die der Prior dabei überrascht hatte, wie sie ihre Messer an der Sioubert-Quelle schärften.
    Séraphin nahm sich die Schuldscheine nochmals vor, die er auf den Haufen Louisdors zurückgelegt hatte, um die Jahreszahlen zu überprüfen: am Tag des hl. Michael 1896 fällig. »Am Tag des hl. Michael war ich achtzehn Tage alt … Und in der Nacht, die diesem Tag vorausging …« Ein Gedanke durchfuhr ihn wie ein Blitz. Er erinnerte sich an Patrice Dupin unter der Zypresse, an Patrice Dupin, wie er zu ihm sagte: »Warum wohl hat mein Vater mich gefragt, ob du wundgescheuerte Hände hättest?«
    Mit verhaltener Kraft schlug Séraphin die Faust auf den Tisch. Mit einem Mal war ihm alles klar. Wenn Marie Dormeur, Rose Sépulcre und Patrice Dupin so oft zu ihm kamen – aus reiner Freundschaft natürlich, um ihm ein wenig die Zeit zu vertreiben –, so deshalb, weil ihre Väter sie mit dem Auftrag nach La Burlière schickten, ihn auszukundschaften. Alle diese Hinweise belasteten die drei Männer. »Sie sind es, das ist sicher!« rief Séraphin laut aus.
    Mechanisch und ohne zu zählen legte er eine Handvoll Louisdors nach der anderen in die Zuckerdose zurück. Dabei wog er sie in seiner Hand und begriff, daß das ganz schön viel war, so eine Dose voll … Wie hatte sein Vater nur so viel Geld verdienen können? Klar, wenn man zu dreiundzwanzig Prozent Geld verlieh … Aber um es verleihen zu können, mußte man das Geld erst einmal haben.
    Séraphin nahm eines der Goldstücke vom Haufen, um es sich genauer anzusehen. Das darauf abgebildete Gesicht zeigte Koteletten und eine hochgekämmte Stirnlocke. Die schwer herunterhängenden Wangen ließen es birnenförmig erscheinen. Rund um den Rand verlief die Inschrift:
    LOUIS-PHILIPPE I er – ROI ES FRANÇAIS
    Zur Regierungszeit dieses Königs war Monge l’Uillaou, der im Jahre 1896 mit dreiunddreißig Jahren gestorben war, noch nicht einmal geboren. Woher hatte er also diese Louisdors, die so schön durch die Finger glitten, die funkelten, als seien sie frisch geprägt, als seien sie der entwürdigenden Berührung so vieler schmutziger Hände auf wunderbare Weise entgangen, als habe sie überhaupt niemand je in die Hand genommen?
    Nachdem er die Geldstücke in die Dose zurückgelegt hatte, vertiefte Séraphin sich wieder und wieder in die Lektüre der drei Urkunden, als befürchtete er, die Namen zu vergessen: Gaspard Dupin, Didon Sépulcre, Célestat Dormeur.
    Bis spät in die ruhige dörfliche Nacht hinein – die Kirchturmuhr schlug die Stunden, der Brunnen plätscherte, hin und wieder durch etwas Wind aus seiner Ruhe gebracht – schob Séraphin die wie neu aussehenden Bögen hin und her, die in schönem, fleckenlosen Blau gestempelt waren. Schließlich faltete er sie zusammen, legte sie in der Reihenfolge, in der er sie vorgefunden hatte, auf die Louisdors und schloß die Dose. Er erhob sich und stellte sie auf das Regal über dem Spülbecken neben die Bratpfanne.
    Danach

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