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Das ermordete Haus

Das ermordete Haus

Titel: Das ermordete Haus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Pierre Magnan
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füllte er ein Glas mit Wasser aus der Leitung und nahm schwerfällig wieder am Tisch Platz. Die Unterarme auf das Wachstischtuch gestützt, öffnete und schloß er unaufhörlich seine riesigen Fäuste, als würgte er einen nicht vorhandenen Hals. Abscheu, Trauer und Zorn verliehen ihm den furchtbaren Ausdruck einer antiken Rachegöttin.
    7
    ALS Séraphin am nächsten Morgen aus dem Haus trat, erschien er so gelassen und bedächtig wie immer. Er zeigte sich weder hastiger noch aufgeregter als sonst bei seinen täglichen Verrichtungen. Nicht wuchtiger als sonst ließ er seinen Hammer auf die Steine prallen. Und am Sonntag, bei seiner Ankunft auf La Burlière, als plötzlich Patrice Dupin vor ihm stand, setzte er seine Alltagsmiene auf und lächelte ihm freundlich zu. Als Patrice ihm die Hand reichte, brauchte er ihm keine Herzlichkeit vorzuspielen; sein Händedruck war schon immer schlaff gewesen, und er legte auch jetzt nicht mehr Nachdruck hinein.
    Er zertrümmerte die Spuren rings um das Versteck links von der Lücke, die der Kamin hinterlassen hatte. Er löste die Bodenplatten, auf denen noch die Blutspuren zu erkennen waren, die daran erinnerten, wie seine Mutter zur Wiege gekrochen war. Er brachte sie nach draußen und zerschlug sie dort mit seinem Vorschlaghammer zu Staub.
    Es war die Zeit, in der die Schwalben zu ihren Nistplätzen zurückkehrten. Mit gellenden Schreien schossen sie kreuz und quer über das zerstörte Anwesen. Manchmal hielten sich einige von ihnen mit flatternden Flügeln an einer bestimmten Stelle in der Luft, als wollten sie sich an einem unsichtbaren Hohlziegel festkrallen. Mit ihrem Tanz in der Luft zeichneten sie in gestrichelten Linien die Umrisse des nicht mehr vorhandenen Hauses nach. An den lauen Abenden hielt das Treiben um die nicht mehr auffindbaren Nester noch lange an. Die meisten Schwalben fanden schließlich andere Nistplätze; unter den génoises, den Hohlziegelfriesen der Kirchen, an den Balken verfallener Burgen oder unter den Ziegeln des Kreuzgangs von Ganagobie. Einige wollten jedoch nicht aufgeben. Den ganzen Sommer hindurch hallten ihre klagenden Schreie zwischen der Durance und den Steineichenhainen über dem leeren Platz wider, wo sich einst La Burlière befunden hatte.
    Es klaffte nun schon eine zehn Meter breite Lücke, wo das Gebäude bis auf die Grundmauern abgetragen war.
    Séraphin brauchte den Bauschutt nun nicht mehr bis zur Durance zu karren. Er hatte die Falltür in der Küche herausgerissen, die er vergessen hatte, als er alle Möbel und Türen verbrannt hatte. Durch diese Öffnung schüttete er nun alles, was von der einstigen Fuhrstation übriggeblieben war, hinunter in die Pferdeställe, die man in den weichen Fels gehauen hatte.
    Eines Tages befand er sich schließlich vor einer riesigen leeren Fläche, die sich auf dem Erdboden noch immer in der länglichen Form eines Sargs abzeichnete. Zum ersten und einzigen Mal waren ihm nun die Louisdors von Nutzen, die er im Versteck in der Mauer gefunden hatte. Er ließ dreißig Karrenladungen Schotter anfahren, die er mit der Gabel sorgfältig über die gesamte Fläche von La Burlière verteilte. Als er die letzte Schaufel verstreut hatte, richtete er sich auf. Ein Spätsommerwind wehte über die neu entstandene Leere, und ein erstauntes Murmeln erhob sich in den großen Bäumen. Seit sie allein dastanden, erschienen die vier Zypressen noch höher. Ihre grünen Flammen flackerten unbekümmert im Wind, als warteten sie auf einen neuen Katafalk, den man nun bald zwischen ihren Lichtern absetzen würde.
    An diesem Abend kam Patrice, der Mann mit dem entstellten Gesicht, in seinem roten Auto angefahren und betrachtete das Schauspiel, das Séraphin bot, wie er dastand und sein Werk begutachtete. Es war vollbracht, und doch sah sein Gesicht deswegen nicht weniger düster aus.
    »Und jetzt?« fragte Patrice. »Bist du jetzt ein Stück weiter?«
    »Na ja …« brummte Séraphin.
    Er rollte sich eine Zigarette und durchmaß dabei die leere Fläche mit dem Blick, und es wurde ihm klar, daß sie nur für die Vorübergehenden leer war und vielleicht auch für diesen Mann, der da verstohlen zu ihm aufsah: dieser gut gekleidete Mann, der sein Gesicht, dem die Chirurgen für immer einen spöttischen Ausdruck verliehen hatten, wie eine Fahne vor sich hertrug.
    Aber für ihn, Séraphin, blieb La Burlière ein unzerstörbares Denkmal. Es genügte nicht, das Gebäude abzureißen, um es aus der Erinnerung zu löschen. Was immer er

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