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Das ermordete Haus

Das ermordete Haus

Titel: Das ermordete Haus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Pierre Magnan
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berühren, die seine Mutter, vielleicht am Vorabend ihres Todes, mit den ihren umfaßt hatte. Er nahm das Holz am anderen Ende auf und ließ es ängstlich fallen.
    Ein schwer zu beschreibendes Unwohlsein befiel ihn angesichts dieser Entdeckung. Er begann das welke Laub im Waschtrog zu durchwühlen. Am Ende der Kette zog er die Reste eines verzinkten Blecheimers hervor. Dieser Eimer vervollständigte das Bild, das er in sich trug; denn dieses Schlagholz, diese Kette, diesen Brunnen, irgendwo hatte Séraphin das alles im Laufe seines Lebens schon einmal gesehen. Er trat einige Schritte zurück, um einen Überblick über dieses Bild, das ihn ängstigte, zu gewinnen. Die Spur auf den Steinen des Platzes führte genau zum Brunnen. Sie führte auf dem kürzesten Weg zum Haus, es war deutlich zu sehen, daß sie genau vor der Tür aufhörte, die es nicht mehr gab.
    Der Brunnen selbst sah neu und ungebraucht aus wie ein soeben ausgepacktes Geschenk. Sein aus Marmor gehauener Rand schimmerte weiß wie Schnee. In der sinkenden Sonne wollte er durchaus nicht die Anmut des bischöflichen Gartens heraufbeschwören, in dem er einmal gestanden haben mußte, sondern er erinnerte eher an Gruften und Grabsteine. Er war unheilverkündend weiß. Von Regengüssen ausgewaschen, von der Sonne gebleicht, war er doch so viele Jahrhunderte hindurch wie neu geblieben, denn Wind und Regen hatten seine Kanten nicht angegriffen. Weiß war er wie ein Leichentuch. Er leuchtete wie ein Signal vor dem dunkelgrünen Hintergrund der Steineichen. Ein Zeuge war er, dieser Brunnen, und vielleicht genauso gesprächig wie die Blutflecken …
    Für Séraphin gab es kein Zögern mehr. Er hob den Vorschlaghammer, um ihn mit all seiner Kraft zu zerschmettern. Der Stiel brach glatt hinter dem Hammerkopf ab, der ihm schon so viele gute Dienste geleistet hatte. Séraphin fiel mit der Nase auf den Brunnenrand und mußte sich daran festhalten, um nicht in den Brunnen zu stürzen. Verwirrt richtete er sich wieder auf. Aus der Tiefe drang noch der Widerhall des Schlags herauf.
    Séraphin betrachtete den Stiel, den er nicht losgelassen hatte. Seine Muskeln schmerzten von der Gewalt des Schlags, der auf ihn zurückgeprallt war. Das Ergebnis seiner Mühe war ein herausgeschlagener Splitter, kaum so groß wie eine Miesmuschelschale.
    Séraphin fuhr mit dem Finger über diese Wunde. Angespannt richtete er seine Aufmerksamkeit auf den Waschtrog, wo die stacheligen Blätter der Steineichen vom aufkommenden Abendwind aufgewirbelt wurden. Langsam ließ er den Blick um den prächtigen Brunnenrand kreisen. Er untersuchte, er betastete den elegant geformten schmiedeeisernen Aufsatz. Dieser bauchige Brunnen mit seinem ungesunden Weiß, viel zu aufwendig für das bescheidene Anwesen La Burlière, dieser Brunnen, den er schon einmal gesehen hatte – aber wo? –, es schien, als wolle er Séraphin etwas sagen.
    Erst nach Einbruch der Dunkelheit entschloß er sich, beladen mit den Bruchstücken des Hammers und mit dem Schlagholz, das er nicht vergessen hatte, nach Peyruis in sein stilles Haus zurückzukehren.
    In seinem methodisch arbeitenden Gehirn blieb indessen die Gewißheit wach, daß dieser letzte Zeuge seines Unglücks zerstört werden mußte, und so kehrte er am darauffolgenden Sonntag bewaffnet mit Steinbruchwerkzeug nach La Burlière zurück. Kaum hatte er sein Rad am Stamm der Zypresse abgestellt und sich umgedreht, fiel sein Blick auf Marie Dormeur. Sie lehnte am Brunnenaufsatz und schenkte Séraphin ihr schönstes Lächeln.
    Etwas Sonderbares ging in ihm vor. Er vergaß sein ursprüngliches Vorhaben und setzte seine Tasche mit den metallenen Gerätschaften klirrend auf den Steinplatten ab. Marie saß auf dem breiten Brunnenrand und ließ die Beine mit den weißbeschuhten Füßen baumeln. Die Strecke von dreißig Metern, die ihn von ihr trennte, legte er vorsichtig zurück, als habe er Angst, sie zu erschrecken. Es hätte nicht viel gefehlt, und er wäre auf Zehenspitzen geschlichen, denn eine mächtige Begierde zog ihn zu ihr hin, und er fürchtete, sie könnte es bemerken.
    O nein! Um das natürliche Begehren, das ein junger Mann für ein Mädchen empfindet, handelte es sich ganz bestimmt nicht. Sie mochte noch so schön, jung und anrührend erscheinen in der vergeblichen Liebe, die sie ihm entgegenbrachte, Séraphin konnte nur die Tochter eines Mörders in ihr sehen. Bei ihrem Anblick keimte unvermittelt der Gedanke in ihm auf, wuchs und nahm schließlich Gestalt an,

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