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Das ermordete Haus

Das ermordete Haus

Titel: Das ermordete Haus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Pierre Magnan
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anstellte, es stand weiterhin vor ihm. Er ging darauf zu. Er öffnete die Tür. Er stieg über den Rahmen des Bildes. Und nun stand er wieder mitten drin in dem Blutbad, atmete den Geruch von feuchtem Ruß, von dem der Schatten seiner Mutter durchdrungen war, damals, als er von ihr geträumt hatte. Es hatte nicht genügt, den Schauplatz des Verbrechens dem Erdboden gleichzumachen, um den Fluch zu bannen. Er mußte nun die Täter vernichten, um seinen Seelenfrieden wiederzufinden und alles auszulöschen: Gespenster und Erinnerungen.
    Nun kannte er Didon Sépulcre und Célestat Dormeur zwar recht gut, aber Gaspard Dupin hatte er noch nie gesehen. Diesem Mann, dessen Sohn ihm so eifrig nachspionierte, mußte er begegnen, er mußte seine Gewohnheiten kennenlernen und herausfinden, unter welchen Umständen er ihn angreifen könnte, ohne sich dabei erwischen zu lassen.
    Da kamen Patrices Worte wie gerufen: »Jetzt, wo du fertig bist, hindert dich nichts mehr daran, nach Pontradieu zu kommen. Du wirst sehen«, fügte er mit einem undefinierbaren Unterton hinzu, »es gibt durchaus reizvolle Dinge zu sehen, in Pontradieu …«
    »Aber sicher«, antwortete Séraphin, »jetzt werde ich kommen, Sie können sich darauf verlassen …«
    »Wirklich?« sagte Patrice. »Soll ich dich beim Wort nehmen? Was hieltest du davon, wenn ich dich für Sonntag in vierzehn Tagen einladen würde?« »In Ordnung«, sagte Séraphin, »warum nicht am Sonntag in vierzehn Tagen?«
    Er schaute zu, wie Patrice ins Auto stieg, und lange nachdem er weggefahren war, hörte er noch dem leiser werdenden Motorgeräusch nach.
    Von diesem Tag an strich er um den Platz herum, wo La Burlière gestanden hatte, wie ein Jagdhund, der die Witterung eines verirrten Stücks Wild aufnimmt. Hatte er auch wirklich alles ausgelöscht? Ein Ziegelstein lag ihm schwer im Magen, als ob er etwas Giftiges gegessen hätte. Dieses Gefühl der Übelkeit konnte nicht allein davon herrühren, daß die Mörder noch am Leben waren.
    Seine Wachsamkeit wurde größer, sein Blick lauernd; in seinem Unterbewußtsein formte sich etwas, von dem er noch nicht wußte, was es war. Er ging zehnmal zur selben Stelle und wieder zurück. Hartnäckig durchmaß er mit seinem schweren Schritt den leeren Raum zwischen den vier kerzenförmigen Zypressen, die plötzlich an einem geheimnisvollen Mangel zu leiden schienen und armselig dastanden.
    Eines Tages schließlich verriet ihm die Sonne, als sie in einem bestimmten Winkel am Himmel stand, daß eine eigenartige Spur von Tritten dort hinten über den leeren, mit runden Steinen gepflasterten Hof führte.
    Es war ein schmaler Pfad, den zwanzig Generationen von Monges in die Steinplatten getreten hatten und der geradewegs auf eine Kuppel aus dichtem Grün hinführte, die sich vor dem mit Steineichen bewachsenen Hang aufwölbte: Um eine seit langem abgestorbene Esche herum wucherte ein Gestrüpp aus Schneeballsträuchern,  Brombeerranken und  gerade gewachsenen Schwarzerlen, die sich wie Ährenbündel zusammendrängten. Eine mächtige Clematis mit Ranken dick wie Lianen umschlang alles, erstickte alles, kletterte hinauf bis zu den höchsten Zweigen des abgestorbenen Baumes und ließ unzählige Arabesken hinabranken, ein Springbrunnen aus Blättern. Die ausgetretene Spur verschwand in diesem Dickicht und kam auf der anderen Seite nicht mehr zum Vorschein.
    Séraphin machte sich über dieses Dickicht her, das ihn gleichzeitig beunruhigte und anzog. Mit nacktem Oberkörper, denn die Sonne brannte noch kräftig herab, Brust und Arme zerkratzt von den Widerhaken der gekrümmten Dornen, die ihm die Haut aufrissen, arbeitete er den ganzen Tag daran, das Gestrüpp zu beseitigen und auf dem Platz zu verbrennen.
    Bei Sonnenuntergang hatte er schließlich einen Brunnen freigelegt, dessen Öffnung fast vier Meter Umfang erreichte. Der Brunnen war weiß wie Schnee. Ein Aufsatz von drei Bändern aus verrostetem Schmiedeeisen erhob sich über ihm. An der Spitze, wo die drei wie ein Bischofsstab gekrümmten Bänder zusammenliefen, hing eine ebenfalls verrostete Rolle, um die eine Kette gewickelt war, die in einem mit welkem Laub gefüllten Waschtrog neben dem Brunnen verschwand.
    Auf dem Stein des Troges, den das Bleichsoda ausgewaschen hatte, entdeckte Séraphin ein Schlagholz von der Art, wie es die Wäscherinnen benutzen. Es lag da, als habe man es am Vorabend dort vergessen. Er wagte nicht, es am Stiel anzufassen. Er wagte nicht, mit seinen Fingern die Stelle zu

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