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Das ermordete Haus

Das ermordete Haus

Titel: Das ermordete Haus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Pierre Magnan
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an, ohne sich dabei zu einem Lächeln hinreißen zu lassen. Ja, schien sie zu sagen, seht nur, was aus mir geworden ist … Das schwarzweiße Muster ihres Kleides umspielte ihren flachen Bauch und entfaltete sich etwas höher zu einer Art Blüte, die trotz des strengen Stils des Kleides die Rundungen ihrer kaum bedeckten Brüste hervorhob.
    Patrice beobachtete Séraphin. Wenn er Charmaine, die seinen eigenen Wünschen weitgehend entrückt war, diesem Straßenarbeiter in den Rachen warf, dann würde sich dessen Vergangenheit mitsamt ihren Schimären und diesen Wahnvorstellungen eines zu schnell entwöhnten Kindes schnell in Luft auflösen, so hoffte er. Er hatte ihm diese Überraschung bereitet, weil er die beiden liebte und den etwas naiven Wunsch hegte, sie sollten einander glücklich machen.
    Nachdem die erste Blendung gewichen und es Séraphin gelungen war, sich Charmaines Blick zu entziehen und seine Augen auf die Tradeskantien im Hintergrund des Raumes zu richten, konnte er dennoch die über den Tisch gestreckte Hand der jungen Frau nicht übersehen, und so streckte er die seine ebenfalls aus. Charmaine bekam von ihm jedoch nur diesen erbärmlichen Fetzen Fleisch zu fassen, der keine Berührung zu erwidern vermochte.
    »Nun gut«, sagte sie, »setzen Sie sich bitte! Mir wird unbehaglich bei dem Gedanken, daß Sie noch wachsen könnten.« Sie sprach etwas durch die Nase, mit einer Stimme, die bei den letzten Silben der Sätze einen schleppenden Tonfall annahm. Séraphin kam ihrer Aufforderung langsam nach und senkte den Kopf über den Teller.
    In diesem Augenblick trat die Dragonerin, die bei der Tauben Wache gehalten hatte, neben ihn und hielt ihm energisch eine dampfende Schöpfkelle unter die Nase. Wie aus Versehen berührte er sie. Sie bediente ihn nur widerwillig und ließ, indem sie vorgab, ihm die Schüssel reichen zu wollen, unmittelbar an seinem Ohr ein scheußliches Kieferknacken vernehmen, das sich anhörte, als wolle sie ihn beißen.
    »Sieh mal einer an!« bemerkte Charmaine. »Weilt unser teurer Vater heute nicht unter uns?«
    »Aber ich bitte dich!« erwiderte Patrice. »Du weißt doch genau, daß er in Marseille ist. Heute ist schließlich Conchitas Tag.«
    »Der Tag der Pute, wolltest du wohl sagen!« spöttelte Charmaine. »Wieviel Federn, glaubst du, muß er diesmal lassen?«
    Patrice zuckte die Schultern. »Woher soll ich das wissen? Fünftausend Franc in jedem Fall. Ich habe Vater mit Hispano- Suiza wegen eines Wagens mit Chauffeur telefonieren hören. Sie wird ihn für ihre Tournee durch Spanien benötigen.«
    »Na ja«, seufzte Charmaine, »solange er sie nicht schwängert, ist alles halb so schlimm.«
    »Na, ich weiß nicht«, meinte Patrice, »das könnte irgendein anderer recht gut für ihn erledigen …«
    Charmaine wandte sich Séraphin zu. »Es stört Sie doch hoffentlich nicht«, sagte sie, »daß wir unsere schmutzige Wäsche vor Ihnen waschen?«
    Aber Séraphin ging nicht auf ihre Frage ein. Er schielte nach dem Sessel, in dem gewöhnlich Gaspard Dupin saß, und hatte nur Augen für diesen leeren Platz.
    »Daran wirst du dich gewöhnen müssen«, sagte Patrice. »Er ist ein Mensch von wenig Worten.«
    »Das wäre mir egal«, sagte Charmaine langsam, »wenn er mich dafür wenigstens ansehen würde.«
    Séraphin bemerkte, daß er beobachtet wurde, und drehte sich etwas zu abrupt um, so daß er noch Charmaines Blick begegnete. Auf dem Grunde des grünen Algengewirrs, das in ihren Augen schwamm und die Farbe der Iris bestimmte, sah er einen Schein erstaunter Wachsamkeit aufflackern. Er fühlte, daß der Spürsinn der jungen Frau um sein Geheimnis kreiste, gleichsam witterte, daß da etwas war. Er zog sich in sich selbst zurück, um ihr möglichst wenig Angriffsfläche zu bieten, und zwang sich, der Aufmerksamkeit seiner Gastgeberin standzuhalten, indem er ihr sein unbefangenstes Lächeln schenkte.
    »Dieser Sessel da, der Ihnen so ausnehmend gut zu gefallen scheint, ist ein echter Louis-quinze, wenn’s genehm ist«, sagte Charmaine mit sanfter Stimme. Sie aß langsam einen Happen und fuhr dann fort: »Wir haben noch so einen … In besserem Zustand … Er befindet sich in meinem Zimmer. Ich kann ihn Ihnen nachher zeigen, falls Sie dies wünschen …«
    Als sie in das Zimmer getreten war und gesehen hatte, wie sich Séraphin vor ihr erhob, hatte sie sich leichthin gesagt: Den muß ich unbedingt haben! Aber als sie seine schlaffe Hand, die er allen und jedem zur Begrüßung hinzuhalten

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