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Das ermordete Haus

Das ermordete Haus

Titel: Das ermordete Haus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Pierre Magnan
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Neunauges. Als Patrice sie so angriffslustig hecheln sah, lief ihm ein Schauer über den Rücken. Später erklärte er, er könne nicht sagen, was ihn an diesem Abend davon abgehalten hatte, sein Gewehr zu holen und sie niederzuschießen. Tatsache ist, daß er wegging, um ihren gierigen Blicken zu entfliehen.
    Vom nächsten Tag an hielt Gaspard Wort. Er nahm die Kontrollgänge im Park wieder auf. Allerdings verließ er das Haus nun schwer bewaffnet, das Gewehr am Riemen über der Schulter, und unter der Patronentasche trug er einen überbreiten Gürtel aus Cordobaleder, an dem ein Karabinerhaken befestigt war. Zuerst ging er auf den Paddock zu. (Das tat er nie, ohne irgendeinen  Leckerbissen mitzubringen.) Mit  dem Karabinerhaken, den er in die Ösen der Riemen einhakte, kettete er sich zwei Hunde an den Gürtel und machte sich so, gewappnet wie ein Panzerwagen, auf zu einer Patrouille durch den dunklen Park. Er ging unter der Pergola hindurch, durchschritt das Labyrinth und den chinesischen Pavillon, den ehemaligen Rosengarten, wo jetzt die Heckenrosen eine Höhe von drei Metern erreichten. Unter dem dichten Zedernhain, der die regelmäßig angeordneten, in Form von Ballerinen beschnittenen Buchsbäume umgab, traf er auf tiefe Nacht. Die Dobermänner nahmen bei jedem Halt mit ihren mondrunden Köpfen Witterung auf, in der Hoffnung auf irgendeine Beute. Seinen Spaziergang beendete Gaspard mit einem zweimaligen Gang um das Becken, wobei er immer auf dessen Rand einherschritt. Dort atmete er am freiesten, wiegte sich in den Hüften und fühlte sich, als trüge er ein mit blauen Tressen besetztes Seidenwams. Sein Weg lag in allen Einzelheiten fest, wie der eines Staatsoberhaupts. Nie wich er auch nur eine Handbreit von ihm ab. Früher hatte er dabei die Hände in den Taschen und war leichten Herzens, voller Pläne zur Verschönerung und Vergrößerung seines Besitzes. So war es gewesen bis zu jenem Herbsttag, an dem er gehört hatte, daß dort drüben in Lurs, jenseits der Durance auf dem Hof La Burlière, ein Mann namens Séraphin Monge sein Haus abriß. Seitdem hatte ihn die Angst gepackt und führte ihn nach Lust und Laune an der Nase herum. Er lebte mit einem flauen Gefühl im Magen und mit eingezogenem Kopf, in ständiger Erwartung von irgend etwas Unvorhersehbarem. Nachts fuhr er plötzlich an der Seite der Tauben (die sofort nach ihrem Rosenkranz tastete) aus dem Schlaf auf und griff hektisch nach seinem Gewehr, das er in Reichweite aufbewahrte. Die Krise erreichte ihren Höhepunkt, als sein Sohn seine Leidenschaft für diesen Séraphin Monge entdeckte, als wäre es eine Heldentat, sein Haus abzureißen. Von diesem Moment an schien ihm die Gefahr Gestalt anzunehmen, und er dachte daran, die beruhigende Wirkung, die von dem Gewehr ausging, durch scharfe Wachhunde zu vervollkommnen. Seit einem halben Jahr schon hatte Conchitas Vater ihn angefleht, sie ihm abzunehmen. Allein, schon am nächsten Abend war an einen zusätzlichen Schutz durch die Hunde nicht mehr zu denken. Von diesem Abend an nämlich hatte der Wetterhahn, der sich wochenlang unentschlossen hin- und hergedreht hatte, aufgehört zu quietschen. Im aufkommenden Wind zeigte er unverrückbar wie ein Wegzeiger nach Süden.
    Die montagnière war aufgekommen. Man hält diesen Wind leicht für den Mistral, aber er kommt aus Nordosten herunter ins Tal und flaut während der Nacht nicht ab. Solange er tobt, fällt es schwer, an irgend etwas anderes zu denken. Er weht nicht in Böen, sondern wie ein stetiger Strom. Nur die Menschen in der Ebene wissen über ihn Bescheid. Wenn sie drei Platanen vor ihrem Hof stehen haben, müssen sie sich damit abfinden, ihnen das Wort zu überlassen. Auch wenn alle Türen zu sind, ist nur das Brausen der Bäume zu hören, und ernsthafte Gespräche müssen aufgeschoben werden. Wer gegen diesen Wind angehen will, dem läßt er die Tränen in die Augen schießen. Man sieht nur noch mit zusammengekniffenen Augen. Alles erscheint doppelt: Man sieht zwei Briefträger, aufgebläht wie Ballons auf ihren Fahrrädern und mit so vielen Armen wie eine asiatische Göttin.
    Die Schäfer, die nur an die Macht der Natur glauben, wenn es ihnen in den Kram paßt, trotzen dem Wind. Auf den abgeernteten Feldern trifft man dann auf spiralförmig angeordnete Herden; eng aneinandergedrängt weigern sich die Tiere zu fressen, zu trinken und lassen sich weder vor- noch rückwärts bewegen. Und die Hunde, allesamt Stoiker, legen sich hin – ihrer

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