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Das ermordete Haus

Das ermordete Haus

Titel: Das ermordete Haus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Pierre Magnan
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Ohnmacht bewußt –, die Augen fragend zum Hirten erhoben. Und der ist machtlos, droht dem Himmel mit der Faust, klagt den lieben Gott an, verteilt Fußtritte an die Hunde und bleibt schließlich, ein Zeichen menschlicher Hilflosigkeit, als einziger aufrecht, mit tränenden Augen vor seiner Herde, die nur den Elementen gehorcht. Wenn dieser Wind nun zu allem Überfluß im Herbst weht, kriecht er durch die Ritzen der ausgetrockneten Türen bis in die schwarzen Tiefen der Keller hinunter, so daß selbst der Wein in den schlecht aufgefüllten Fässern auf ihn schimpft wie ein brummiger Großvater.
    Nach drei Tagen zwingt er Gute wie Böse zur völligen Unterwerfung. Er erniedrigt die Hochmütigen, doch erhöht er die Demütigen nicht.
    Ohne diesen Wind wäre vielleicht nichts geschehen. Pontradieu war zum Mittelpunkt des Aufruhrs geworden. Siebenhundertfünfzig Bäume standen im Park, die Zedern nicht eingerechnet, die unordentlich über seine Grenzen hinauswuchsen. Die meisten Bäume waren höher als dreißig Meter, denn ihre Wurzeln reichten bis in den unterirdisch verlaufenden Fluß hinab, der die Durance begleitet. Die Montagnière ließ die Bäume erdröhnen wie ein Orgelgehäuse. Sie schlug einen donnernden Akkord an, der sich immer weiter steigerte. Der ganze Fluch der Natur brach in diesem ständigen Getöse auf, das sich wie ein Wasserfall in die Ohren ergoß und jeden zum Gefangenen seiner selbst machte.
    Als Gaspard in der Abenddämmerung das Haus verließ, um seine Runde zu machen, sprang ihm der Wind böse ins Gesicht, liebkoste ihn gleichzeitig in höchst zweideutiger Weise, indem er ihn wie ein nasses Leichentuch umhüllte. Er gab ihn nicht mehr frei. Er umtanzte ihn mit dem Geräusch eines knatternden Segels. Es war, als würde ein ausgeworfenes Schmetterlingsnetz ihn jedes Mal nur knapp verfehlen. Der Wind spielte mit seiner Gereiztheit, bis er die Dobermänner im Paddock abgeholt hatte. Seit die Montagnière aufgekommen war, hatten die Hunde im Paddock begonnen, Schreie auszustoßen wie nächtliche Raubvögel. Auf Leben und Tod heulten sie vor sich hin, bis ihre Kehlen ausgetrocknet waren und sie sich nicht einmal mehr gegenseitig hören konnten. Mutlos, weil sie ihres Gehör- und ihres Geruchssinns beraubt waren, lagen sie auf dem Stroh ausgestreckt. Überreizt wie sie waren, hatten sie ihre Wachsamkeit und ihre Mordlust verloren.
    Ohne Eifer richteten sie sich beim Knallen von Gaspards Peitsche auf. Ihre nutzlosen Ohren hingen herunter wie lächerliche Stoffetzen und wurden nicht mehr beim leisesten Laut gespitzt, denn es gab keinen Laut mehr. Der Wind war das einzige Geräusch auf dieser Welt.
    Gaspard zog zwei Hunde aus der Umfriedung – niemals dieselben – und befestigte sie sorgfältig am Karabinerhaken seines Gürtels. Er musterte die hohen Bäume im Mondlicht. »Hurensohn«, sagte er laut und vernehmlich. Und dann machte er sich auf den Weg.
    Er begriff bald, daß der Park ihn jederzeit narren konnte, sich nicht mehr beherrschen ließ. Deshalb begnügte er sich nicht mehr damit, seine Waffen am Riemen zu tragen. Das Gewehr im Anschlag und mit dem Finger am Abzug setzte er seine Runde fort.
    Noch jemand hatte zur gleichen Zeit begriffen, daß er bei diesen Rundgängen leicht in einen Hinterhalt geraten konnte. Die Dragonerin war es, die sich in den Kopf gesetzt hatte, ihn zu beschützen, auch sie bewaffnet mit einem Karabiner für die Gemsjagd. Sie hatte ihn als einzige Mitgift vom Champsaur mitgebracht und polierte ihn wie ihren Wäscheschrank. Schon bei seinem ersten Rundgang hatte Gaspard sich plötzlich umgedreht, weil er einen Blick auf sich gerichtet fühlte. Es war die Gestalt seines dunklen Engels, die von Baum zu Baum schlich. Er schleuderte ihr Worte entgegen, die er selbst nicht verstehen konnte; hetzte die Hunde auf sie und vertrieb sie schließlich mit Tritten in den Hintern. Er nahm es hin, selbst Angst zu haben, aber es war ihm unerträglich, daß ein anderer sich um ihn ängstigte.
    Beim Aufkommen des Windes begann Séraphin sein Opfer zu belauern. Er hatte geglaubt, den Schlüssel aus Charmaines Händen entgegengenommen zu haben, weil er eine gewisse Zärtlichkeit für sie empfand. Doch in Wirklichkeit hatte er ihn – vielleicht unbewußt – genommen, um seine Anwesenheit auf Pontradieu unter allen Umständen rechtfertigen zu können. Er verlor nie aus den Augen, daß Gaspard Dupin nur einer der Mörder von La Burlière war und daß er sich nicht fassen lassen durfte,

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