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Das ermordete Haus

Das ermordete Haus

Titel: Das ermordete Haus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Pierre Magnan
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aus dem Dekolleté hervortraten.
    »Und nun?« rief Charmaine ungeduldig. »Worauf warten Sie denn noch?«
    Sie wandte ihm den Rücken zu, um sich in derselben unterwürfigen und doch gleichzeitig provozierenden Haltung über das Becken zu beugen wie eben, als sie aus dem Rohr der Brunnenfigur getrunken hatte. In diesem Spiegel betrachtete sie das Paar, das sie beide abgaben. Aber obwohl er mit seinen dichten Haaren, den großen Ohren, den hervorstehenden Wangenknochen und den Pausbacken unzweifelhaft vorhanden war, hatte sie doch den Eindruck, als könne sie nur sich selbst auf der glatten Wasseroberfläche erkennen.
    »Nun kommen Sie schon«, sagte sie, »wer sollte uns davon abhalten, der Nostalgie zu frönen? Betrachten wir uns gemeinsam im Wasser … Es ist Ihnen doch klar, daß uns, sollten wir je Gelegenheit haben, in dreißig Jahren hier noch gemeinsam hineinzuschauen, nur noch wehmütige Erinnerungen übrigbleiben werden?«
    »Das weiß ich schon«, hauchte Séraphin. Er näherte seine schlaffe Hand dem Schlüssel, der an Charmaines Finger hing und den sie ihm nicht länger hinhielt. Sanft ergriff er ihn. Er drehte ihr den Rücken zu und verschwand.
    Es war Nacht, als er in Peyruis ankam. In der Ferne waren der Baß einer Posaune und der Sopran eines schrillen Akkordeons zu hören. Auf allen Wegen tanzten Lichter, die rasch auf das Vergnügen zusteuerten.
    Séraphin schritt die Dorfstraße entlang, in der die Ziegen hinter den klapprigen Türen der Ställe meckerten. Er schlurfte mit den Füßen, als trüge er eine schwere Last. Die Bürde, nicht so wie alle anderen Menschen leben zu können, erdrückte ihn fast.
    Er stieß die Tür seines Hauses auf. Wie alle anderen Leute in dieser Gegend schloß er sie beim Weggehen niemals ab. Sofort beim Betreten der Küche spürte er, daß sich jemand darin aufgehalten hatte.
    Wenn er abends nach Hause kam, öffnete er stets die Zuckerdose, um nur ja nicht zu vergessen. Er zog die drei auf amtlichem Papier ausgestellten Schuldscheine hervor und las wieder und wieder begierig die drei Namen: Gaspard Dupin, Didon Sépulcre, Célestat Dormeur. Und dann faltete er sie wieder zusammen, immer in der gleichen Reihenfolge. In der Reihenfolge, in der er sie vorgefunden hatte. In der Reihenfolge, in der er beschlossen hatte, die drei aus der Welt zu schaffen.
    An diesem Abend nun stellte er fest, daß sich die Schuldscheine in einer anderen Reihenfolge befanden. Gaspard Dupin lag obenauf, Didon Sépulcre zuunterst und Célestat Donneur lag in der Mitte … Es war jemand dagewesen. Jemand wußte nun von diesen Schuldscheinen … Séraphin schüttelte die Dose leicht, und die Louisdors ließen ihren satten Klang vernehmen. Nein. Nach dem Gewicht der Dose zu urteilen, befanden sie sich offensichtlich noch alle darin. Und wenn jemand gekommen wäre, um sie zu stehlen, so hätte er sicher alle mitgenommen.
    Séraphin stand auf und hielt die Dose mit beiden Händen fest umschlossen. Er witterte die Gegenwart eines Menschen, den die Louisdors ebenfalls vollkommen kalt ließen. Jemand, der langsam und ohne Angst, entdeckt zu werden, durch die Küche, die Spülnische und das Nebenzimmer geschritten war. Er witterte dessen Anwesenheit, obwohl kein Geruch mehr von ihm in der Luft hing. Dieses Gefühl der Anwesenheit eines Menschen wollte die ganze Nacht nicht weichen. Ungreifbar, dicht und schwer erfüllte die Erinnerung daran den Alkoven und die Küche.
    Séraphin hatte Charmaine und alle Glücksverheißungen vergessen. Er wartete angstvoll auf den schrecklichen Traum, der wiederkehren würde, um ihn dafür zu bestrafen, daß er vom rechten Weg hatte abweichen wollen. Er wartete umsonst. Er wurde nicht heimgesucht. Sein Gewissen blieb ruhig wie die Straßen von Peyruis unter dem Geplätscher des Brunnens.
    Die ganze Nacht hindurch hatte er das Gefühl, jemand habe sich an das Kopfende des Bettes gesetzt, um über seinen Schlummer zu wachen.
    9
    ALS Gaspard Dupin an diesem Abend, lange nachdem Séraphin gegangen war, nach Hause kam, folgte ihm im Kielwasser seines leise wie ein Passagierschiff dahingleitenden Hudson- Terraplane ein Lieferwagen auf vier Vollgummireifen, der auseinanderzufallen drohte. Durch die klappernden Gitter, die die Ladefläche umgaben, spähten vier gewaltige Hunde mit hängender Zunge unablässig in die Gegend.
    Gaspard brachte seinen Wagen vor dem Paddock zum Stehen, ohne die Scheinwerfer auszumachen. Er hatte Pontradieu aus drei Gründen gekauft: wegen des

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