Das ermordete Haus
an ihn herankommen.« »Du bleibst hier!« schrie Didon. »Oder ich werde …«
»Gar nichts wirst du!« brüllte Térésa noch lauter und fügte dann sehr leise hinzu: »Selbst wenn man ihm das jetzt anhängen will, so bleibt er immer noch ein Dupin!«
Marcelle, das Bügelbrett, warf ihrer Schwester einen giftigen Blick zu. »Bäumchen wechsle dich!« zischte sie.
Rose, die schon im Gehen begriffen war, fuhr herum wie von der Tarantel gestochen: »Soll ich dir eine kleben?«
»Tu’s doch! Es stimmt trotzdem – heute der, morgen der. Vor noch nicht mal zwei Monaten gab’s nur den Séraphin für dich. Stimmt’s oder stimmt’s nicht?«
»Es stimmt«, mußte Rose zugeben. »Aber der Séraphin … Wie soll ich sagen …« Sie schüttelte entmutigt den Kopf. »Das ist kein richtiger Mann …« fuhr sie leise fort.
Von der Tricanote, die wie üblich ihre Ziegen in den Stall trieb, hatte Clorinde Dormeur von Patrices Verhaftung erfahren. In Lurs war man nie so ganz auf dem laufenden über die neuesten Ereignisse, vor allem im Herbst, wenn es so viel zu tun gab.
Célestat hatte gerade den Vorteig für die Brote, die in der Nacht gebacken werden sollten, von der Waage genommen, wo ihn Clorinde abgewogen hatte. »Diese Richter machen immer kurzen Prozeß«, murmelte er.
»Was hast du gesagt?« wollte Clorinde wissen.
»Ach, nichts. Ich rede mit mir selbst.« Er glaubte nicht eine Sekunde lang an Patrices Schuld. Er warf einen begehrlichen Blick auf das Gewehr, das im Hinterraum am Kaminsims hing. Wenn alle, die hin und wieder zum Luftschnappen vor ihre Haustür traten, ihn mit einem Gewehr vorbeikommen sahen, würde es ein ganz schönes Gerede geben. Aber vom Laden bis zum Backofen waren es zweihundert Meter. Zweihundert Meter gespickt mit dunklen Winkeln, stickigen Ställen, die wie Falltüren auf einen lauerten, Treppen, die zu gewölbten Durchlässen führten, offenen Hofeinfahrten, aus denen Dunkelheit hervorquoll wie aus einem Tunnel – zweihundert Meter gespickt mit verfallenen Häusern, die sich hinter Brennesseln, Holunder- büschen und Spanischem Flieder verbargen und deren grausige leere Fensterhöhlen ins Nichts starrten, als ob sie der Toten gedächten, die hinter ihnen gestorben waren. Célestat, den während der vergangenen fünfundzwanzig Jahre die Angst nie ganz verlassen hatte, ging an diesen düsteren Gründen nie völlig ruhig vorbei. Er hütete sich sogar davor, den Blick auf sie zu richten, denn wenn er es gedankenlos doch einmal tat, sahen überall Gestalten in dunkelroten Roben daraus hervor, als ob ein Aufgebot von Staatsanwälten schläfrig, aber pflichtbewußt dort auf ihn wartete.
Jede Nacht zwischen vier und fünf kam Célestat zurück, um sich ein bißchen aufs Ohr zu legen, solange die erste Ladung im Ofen war, während über den Bergen, hinter den Felsen der Tête d’Estrop, ein smaragdgrüner Schimmer eine Ahnung vom kommenden Tage verbreitete. Ganz allein war der Bäcker in dieser Gasse in Lurs, wo nur alle paar hundert Meter eine schwache Glühbirne am Ende eines Laternenpfahls etwas Licht spendete. Wo sollte Hilfe herkommen? Jeden Morgen hörte Célestat seine Kunden hinter den Jalousien schnarchen. Jedes Mal beschimpfte er sie im Vorbeigehen als elende Faulpelze. Sie boten ihm keinen Schutz. Wenn jemand ihn angriffe und er noch um Hilfe rufen könnte, würden die Schläfer hinter ihren Fenstern gut eine Viertelstunde brauchen, bis sie ihm Beistand leisten könnten. Und wenn sie dann endlich da wären, wer weiß, was derjenige, der schon Gaspard getötet hatte, inzwischen mit ihm gemacht hätte. Den Rand eines Wasserbeckens einzuseifen, war das vielleicht Männerart? Ein Gewehr, ein Messer, ein courregeon, einer dieser nicht enden wollenden Lederriemen, mit denen man die Jagdstiefel schnürt, das waren die Waffen eines Mannes. Aber Seife und Wachs! Wer konnte wissen, was dieser Hurensohn sich das nächste Mal einfallen lassen würde? Es kam vor, daß Célestat die Dinge, mit denen er täglich umging, mißtrauisch beäugte: den Backtrog, der einem Sarg auffällig ähnlich sah; den Backofen, in dem ständig Feuer brannte; die Stapel von Mehlsäcken, die doppelt so hoch waren wie er selbst und von denen ein einziger genügen würde, ihm das Genick zu brechen – ohne viel Lärm zu machen! Denn wenn schon dieser einflußreiche, millionenschwere Gaspard, der ihm immer auswich, wenn er ihm zufällig begegnete, oder ihm widerwillig die halbe Hand hinstreckte, wenn es sich gar nicht
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