Das ermordete Haus
abgelesenen Protokoll.
»Er ist gestolpert. Daraufhin ist er ins eiskalte Wasser gefallen und hat die Hunde mit sich gezogen. Kurz zuvor hatte er eine Portion pieds et paquets gegessen. Er ist am Herzschlag gestorben. Das ist so klar wie der Stil von Flaubert.«
Der Offizier schrieb alles mit. »Natürlich haben Sie kein verdächtiges Anzeichen am Körper entdeckt, wie zum Beispiel Blutergüsse, Spuren von Schlägen, Kratzwunden und so weiter?« Doktor Roman atmete tief ein, bevor er antwortete: »Nichts dergleichen ist mir aufgefallen.« Er war sich des Gewichts seiner Worte bewußt, aber es kam ihm in den Sinn, daß dies vielleicht nicht für seinen Gesprächspartner galt. »Keine weiteren Fragen?« wollte er wissen.
»Im Moment nicht«, antwortete der Offizier, der sich eifrig Notizen machte.
Der Doktor öffnete seine Tasche, um ein Formular daraus hervorzuholen, das er schwungvoll auf den Tisch knallte. Ich, der Unterzeichnete, Doktor der Medizin, erkläre hiermit, den Körper des … untersucht zu haben … etc.
Alles hätte seinen normalen Gang gehen können, und Gaspard Dupin wäre unversehrt beerdigt worden, anstatt aufgeschlitzt zu werden wie ein Schlachtvieh, wenn nicht der Gendarm Simon, von beruflichem Pflichtbewußtsein getrieben, die Umgebung des Wasserbeckens ein wenig in Augenschein genommen hätte, um die Atmosphäre in sich aufzunehmen.
Mißtrauisch und bedächtig machte er die Runde um das Becken, beide Daumen unter sein Koppel geschoben, und versuchte, sich in die Haut des Opfers zu versetzen. Und dabei rutschte er genau an der Stelle aus, an der auch Gaspard Dupin ausgerutscht war.
»Eines natürlichen Todes gestorben«, verkündete Doktor Roman.
In diesem Augenblick stürzte der durchnäßte Polizist herein, eine lange Wasserspur auf dem Parkettfußboden des Korridors zurücklassend. Er grüßte vorschriftsmäßig, gleichwohl klapperte er mit den Zähnen.
»Was gibt’s, Simon?« fragte der Unteroffizier. »Aber … Um Gottes willen, was ist denn mit Ihnen passiert?«
»Ein natürlicher Tod war es schon, Chef«, brummte der Gendarm, »aber immerhin hat man das Opfer dabei ein bißchen eingeseift, wenn Sie verstehen, was ich meine …«
»Was erzählen Sie mir da?«
In einer erstaunlich schnellen Reaktion hatte der Doktor den Totenschein bereits geschickt in den Tiefen seiner Tasche ver- schwinden lassen. »So was kann übel ausgehen!« rief er. »Ziehen Sie sich aus! Legen Sie sofort die Uniform ab! Bringen Sie ihm trockene Kleider! Dieser Mann kann sich den Tod holen!«
Nachdem der Gendarm nach zwei Gläsern Schnaps wieder zu Kräften gekommen war und endlich seine Geschichte erzählt hatte, begaben sich alle hinaus zum Wasserbecken. Alle beugten sich über den Teil des Randes, den er ihnen zeigte.
»Bücken Sie sich, Chef! Fassen Sie mal hier hin!«
Der Chef gehorchte. Er strich mit den Fingern über den Marmor. Die Oberfläche war spiegelglatt. Sie war an zwei Stellen von unterschiedlichen Stiefeln zerkratzt: von den unge- nagelten des Opfers und den Militärstiefeln des Gendarmen.
»Auf drei Meter Länge ist das hier so rutschig«, ereiferte sich Simon. »Wer hier spazierenging, mußte zwangsläufig satt im Wasser landen.«
Doktor Roman beschnüffelte den Beckenrand. »Das riecht nach Natron«, sagte er. »Nach frisch gebohnertem Parkett. Sicher eine Mischung aus Seife, schwarzer vermutlich, und Bienenwachs. Eine Schlittschuhbahn«, sagte er nachdenklich, »eine wahre Schlittschuhbahn …«
»Hab ich’s Ihnen nicht gesagt, Chef, daß man ihn ein bißchen eingeseift hat!« sagte der Gendarm triumphierend.
Das Leben eines Menschen hängt immer nur an einem Faden. Man braucht kein Dynamit, keinen Revolver oder Dolch, um es auszulöschen. Der, der diese wenig kostspielige und wirksame Falle nach altem Hausrezept ausgeklügelt hatte, mußte das sehr genau gewußt haben. Es sei denn, es hätte ihm widerstrebt, sich bei der Berührung mit seinem Opfer die Hände zu beschmutzen. Séraphin starrte ungläubig auf diesen Beckenrand, den ein bißchen Seife und Wachs, in der richtigen Mischung, in eine tödliche Falle verwandelt hatten. Wer das getan hatte, mußte – wie er selbst, Séraphin – wissen, daß der Herr von Pontradieu jeden Abend hierherkam, um frische Luft am Becken zu schnappen, mit den angegurteten Hunden, die seine Bewegungen behinderten.
So hatte also Gaspard Dupin sehr wohl durch einen Mord sein Ende gefunden, aber nicht er, Séraphin Monge, hatte ihn
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