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Das ermordete Haus

Das ermordete Haus

Titel: Das ermordete Haus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Pierre Magnan
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an dem Straßenabschnitt, an dem sie vorbeikam. Marie mußte das Brot bis nach Pont-Bernard ausfahren, weil sich Coquillat, der Bäcker von Peyruis, eine Nagelbettentzündung zugezogen hatte und deshalb keinen Teig mehr kneten konnte. Seit einer Woche kauften die Leute von Peyruis ihr Brot zur Hälfte in Lurs, zur Hälfte in Les Mées. Für Célestat bedeutete das doppelte Arbeit. Auf dem Rückweg von Pont-Bernard hatte der triporteur eine Reifenpanne. Es war nicht das erste Mal; Marie war daran gewöhnt. In der Satteltasche hatte sie alles, was sie zum Flicken brauchte. Nur fehlte ihr Wasser, um das Loch im Reifen zu finden. So mußte sie das Dreirad mehr als fünfhundert Meter weit bis zur Sioubert-Quelle schieben. Diese Quelle war ihr unheimlich. Sie rann verstohlen und völlig lautlos aus dem Boden hervor, und der Waschtrog, in den sie sich ergoß, lag im Schatten dichten Laubwerks verborgen – zu jeder Jahreszeit ein düsterer Ort. Allein, sie hatte keine andere Wahl. Sie krempelte die Ärmel hoch und machte sich an die Arbeit. Erst als sie das Rad abmontiert hatte, bemerkte sie, daß sie ihren Ring noch am Finger trug und so Gefahr lief, den Aquamarin zu zerkratzen. Sie nahm den Ring ab und wollte ihn gut sichtbar auf den Rand des Steinbeckens legen, an die trockenste Stelle, als sie die große sichelförmige Einkerbung in dem olivgrünen Stein bemerkte. Sie wußte nicht, wozu die Kerbe früher gedient hatte, zog es aber instinktiv vor, ihren Ring gut sichtbar weiter entfernt auf eine hellere Steinplatte zu legen.
    Die Reparatur dauerte lange. Das Loch, aus dem die Luft in kleinen Bläschen entwich, war winzig. Marie hatte große Mühe, es zu finden und den Schlauch aufzurauhen. Außerdem mußte sie das Rad mit einem Engländer festschrauben, der ständig abrutschte. Sie schimpfte vor sich hin. Schmutzige Hände waren ihr ein Greuel, und nun würde sie sie erst zu Hause wieder richtig waschen können.
    Mit dieser Wut im Bauch – auch ihre Haare waren in Unordnung geraten, und mit ihren schmutzigen Händen konnte sie sie nicht in Ordnung bringen – stieg sie wieder auf ihr Dreirad und trat zornig in die Pedale. Nach kaum zweihundert Metern stieß sie einen entsetzten Schrei aus. Sie hatte ihren Ring mit dem Aquamarin vergessen. Mit einer wilden Drehung der Hüften wendete sie ihr Gefährt, das sie wie ein Pferd behandelte. Der Fahrer eines Lastwagens mit Kettenantrieb, der gerade um die Kurve kam, drehte wie ein Wilder die Kurbel seiner Hupe. Er konnte ihr nur knapp ausweichen. Marie merkte es nicht einmal. Ihr geliebter Aquamarin, den ihre Eltern ihr am Morgen ihres achtzehnten Geburtstags ans Bett gebracht hatten! Wie hatte sie den vergessen können?
    Sie sprang von ihrem Dreirad und lief zur Quelle. Unter der grünen Kuppel des Laubwerks war es schon recht dunkel. Marie ging zielstrebig zu der Stelle, wo sie den Ring abgelegt hatte, und streckte die Hand aus. Der Ring war nicht mehr da. Sie brach in Panik aus. Die absonderlichsten Gedanken schossen ihr durch den Kopf: Vielleicht hatte sie sich in der Stelle geirrt? Vielleicht hatte eine Ratte den Ring ins Becken fallen lassen? Sie suchte auf allen vieren überall um den Waschtrog herum und wimmerte dabei leise vor Kummer. Sie versenkte ihre Arme bis zum Grund des Beckens, doch dabei wirbelte sie Schlamm auf, und nun tastete sie blind im schwarzen Wasser herum. Erst als es unter dem Blätterdach schon völlig dunkel war, gab sie die Suche auf. In trostloser Stimmung, völlig durcheinander und vom eisigen Wasser der Quelle durchnäßt, machte sie sich weinend auf den Weg nach Lurs.
    Auch drei Tage nach dem Mord an Gaspard Dupin ging Séraphin seinen täglichen Verrichtungen nur mechanisch nach. Die Verwunderung, die ihn angesichts der Leiche befallen hatte, war nicht verschwunden. Wer hatte ihn um seine Rache gebracht? Wer hatte ihm das Heft aus der Hand genommen? Er glaubte nicht an Patrices Schuld, genausowenig wie Didon Sépulcre, der unbedingt daran glauben wollte, genausowenig wie Célestat Dormeur, der sich keiner Selbsttäuschung hingab. Wohl zehn Mal war er nahe daran, seinen Hammer auf den Haufen groben Schotters zu werfen, den er gerade zerkleinerte, sich auf sein Fahrrad zu schwingen und nach Digne zu fahren, um zu sagen, was er wußte. Doch da war dieser Traum, der ihn jede Nacht verfolgte, vor dem er sich zu hüten hatte. Er wies ihm den Weg. Er schlief ruhig, solange er sich nicht von seinem Ziel abwandte, doch sobald er es vergaß, brach der

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