Das ermordete Haus
empfindungslos und starr wie das Wahrzeichen eines steinernen Priapos aufragte.
Sie rief ihm Beleidigungen und Obszönitäten ins Ohr. Aber er öffnete seine Fäuste nicht, rührte sich nicht, berührte sie nur mit diesem unpersönlichen, nicht zu ihm gehörigen Glied, das ihre Schenkel wie ein Schraubstock umklammerten, ohne Ergebnis. Sie weinte vor Erniedrigung; gewöhnlich war sie es nämlich, die die Männer mit ihrer kühlen Gleichmut, ihrem Schweigen und ihrer nüchternen Klarsicht zur Verzweiflung brachte. Aber wie soll man jemanden zur Verzweiflung bringen, für den man gar nicht da ist, der starr vor Angst dasitzt und der, im Bann einer schrecklichen Erscheinung, kaum merkt, daß eine Frau über ihm auf Liebe wartet?
»Das ist unmöglich, unmöglich, unmöglich«, stöhnte sie in einem fort durch zusammengepreßte Zähne. Sie würde nie begreifen, daß sich in diesem Marmorkopf, der jenem anderen glich, der auf der Kommode in Patrices Atelier stand, ein Kampf abspielte: Séraphin wich stetig vor seiner toten Mutter zurück, diese rückte immer weiter vor, in ihrem rätselhaften Schweigen, mit diesem leicht aus dem Lot geratenen Auge, das ihn nie direkt anschaute. Er drehte den Kopf nach rechts und nach links, um diesen roten, feuchten Lippen zu entgehen – waren es die seiner Mutter? waren es die Charmaines? –, die auf Berührung aus waren. Er drehte den Mund weg, um den nachgiebigen Brüsten zu entkommen, die darauf warteten, von Säuglingshänden gepackt zu werden, und die ihn, da war er sich ganz sicher, mit Totenmilch stillen wollten.
Charmaine mühte sich lange verzweifelt ab, um den Mann herumzukriegen. Sie war hemmungslos, übertraf sich selbst, hätte nie geglaubt, daß sie so schamlos sein konnte. Sie war sicher, daß sie diesen nutzlos aufgerichteten Phallus endlich doch in die Pflicht nehmen und daß Séraphin sie endlich doch in seine Arme schließen würde. Denn das war es, was sie eigentlich suchte: die tröstliche Geborgenheit seiner Umarmung. Doch plötzlich sank sie entmutigt in sich zusammen. Mehrere Minuten saß sie wie tot da, hielt den Körper des Mannes immer noch zwischen ihren Schenkeln, hatte aber nicht mehr die Kraft, ihn zu umschlingen, gerädert und zugleich unbefriedigt, wie sie war. Außer sich vor Wut schlug sie auf ihn ein, auf die Brust, auf die Arme, auf den Bauch. Schließlich riß sie sich los und spuckte auf sein Glied.
Er blieb immer noch reglos. Seine Augen waren immer noch auf ganz andere Dinge gerichtet. Mit aller Kraft schlug sie ihm ins Gesicht. Danach schmerzte ihre Hand, als hätte sie einen Stein geohrfeigt.
Er wandte nicht einmal den Kopf. Irgendwie schlüpfte sie wieder in ihr Spitzenkleid und zupfte es zurecht.
»Ich komme wieder, und zwar jeden Abend! Hören Sie? Jeden Abend! Irgendwann kriege ich Sie rum!« Sie wollte im Hinausgehen wütend die Tür zuschlagen, doch die Fliesen bremsten sie ab und verdarben so die ganze Wirkung.
Séraphin hörte, wie ein Motor angelassen wurde. Doch nahm er dieses Geräusch nur unbewußt wahr, denn dieser Tropfen toter Milch, dieser am deutlichsten hervortretende Bestandteil seiner Halluzination, befeuchtete seinen Mund, benetzte seine Zunge, seine Schleimhäute. Er schmeckte nach feuchtem Ruß.
Er stürzte zum Spülbecken und steckte sich den Finger in den Hals. Er übergab sich, das Erbrochene war schwarz. Der Geruch von Ruß stieg ihm in die Nase und hielt sich dort die ganze schreckliche Nacht hindurch.
Erschöpft ließ er sich wieder auf den Stuhl fallen, als habe er mit einem ebenbürtigen Gegner gekämpft. Die Haare auf seiner Brust und seine Handflächen – dabei hatte er doch zu keiner Zeit die geballten Fäuste gelockert – rochen nach Charmaines Parfüm, das den Rußgeruch zwar überdeckte, aber doch nicht ganz vertrieb, eine Mischung, die mit einem Mysterium befrachtet war, dessen Sinn er nicht zu ergründen vermochte.
Plötzlich fiel ihm ein, daß Charmaine die Schuldscheine gelesen hatte und er ihr ausgeliefert war. Er konnte es sich nicht leisten zuzuschauen, wie ihr Begehren in Haß umschlug. Wenn er seine Kräfte auf das Wesentliche richten und die beiden übriggebliebenen Mörder vernichten wollte, mußte er sich quer durch die Geisterwelt, die ihn quälte, mitten durch seine seltsamen Empfindungen hindurchschlagen, schnell wie ein Pfeil geradewegs durch all dies hindurchschießen. Selbst wenn er weit über den Durst von dieser Rußmilch trinken mußte. Selbst wenn er das Geheimnis erfahren
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