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Das ermordete Haus

Das ermordete Haus

Titel: Das ermordete Haus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Pierre Magnan
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mußte, das ihm seine Mutter mit aller Gewalt zuflüstern wollte.
    Wenn er verhindern wollte, daß Charmaine sich ihm in den Weg stellte, würde er sich ihren Launen beugen müssen. Dann und nur dann könnte er sie zu seiner Vertrauten machen. Und wenn ihn seine Mutter für die Lust, die er dabei empfinden würde, mit einem Geständnis strafte, das ihm schon im voraus Grauen einflößte, konnte er auch nichts daran ändern. Schließlich hatte er den Krieg mitgemacht. Kein Alptraum, kein Geheimnis kam den Schrecken des Krieges nahe.
    Er stand auf und eilte zur Treppe. Er ging zum Schuppen, schwang sich auf sein Fahrrad und fuhr, so schnell er konnte, nach Pontradieu. Er mußte Charmaine in den Arm nehmen und sie um Verzeihung bitten.
    12
    WENN man vor Eifersucht vergeht, schreckt man vor nichts zurück. Und Marie verging vor Eifersucht. Seit fünf Uhr nach- mittags spürte sie einen nadelgespickten Kloß in ihrem Hals, der ihr gerade noch erlaubte, mit ja oder nein zu antworten. Um fünf Uhr – Marie bügelte im hinteren Teil des Ladens Wäsche – hatte die Tricanote den Perlenvorhang zurückgeschoben.
    »Clorinde! Weißt du schon das Neueste? Anscheinend hat die lustige Witwe –«
    Clorinde war dabei, Bügelwäsche für die Schwestern vom Rosenkranz abzuwiegen.
    »Welche lustige Witwe?« fragte sie.
    »Na du weißt schon! Die, die in der Zeitung stand! Die Tochter vom reichen Dupin!«
    »Ah!« machte Clorinde.
    »Also stell dir vor!« rief die Tricanote aus. »Der Tod von ihrem Vater, und dann noch unter diesen schrecklichen Umständen – wegen so was läßt die nichts anbrennen! Meine Güte! Anscheinend spielt sich da gerade was ab zwischen ihr und dem Séraphin!«
    Clorinde hob den Blick zur Decke: »Der!«
    In diesem Augenblick hatte sich der nadelgespickte Kloß in Maries Hals festgesetzt. Seitdem wußte sie, was zu tun war, und wartete ungeduldig auf eine Gelegenheit. Um neun Uhr war es dann soweit: Ihr Vater klemmte sich das Paket mit dem Vorteig unter den Arm, nahm das Gewehr von der Wand und machte sich auf den Weg zur Backstube. Seit dem Tod von Gaspard Dupin, der ihn so sehr durcheinandergebracht hatte, kam er bis zum Morgen nicht mehr heim. Er hatte sich in der Backstube aus Säcken ein Bett gemacht und döste dort in den Arbeitspausen mit dem Gewehr zwischen den Knien.
    Mit Clorinde war es ohnehin einfach: Um neun Uhr machte sie gähnend die Abrechnung. Sie ließ das Geld in einen alten Schäferhut fallen und ging über jede Treppenstufe stolpernd in ihr Zimmer. Marie hörte sie noch zwei oder drei Minuten herumkramen und gähnen, daß man die Kiefer knacken hörte, sich die Füße und das Gesicht mit einem Krug kalten Wassers erfrischen – und dann ade du liebe Welt! Nach drei, vier Minuten begann das Konzert. Sie war mit einem friedfertig kraftvollen Schnarchen begabt. Bei jeder Erschütterung der Luft begann die Flammhülse der kleinen Petroleumlampe auf der Marmorplatte der Kommode zu klingeln.

Marie wartete höchstens bis zum zehnten Geklingel. Sie öffnete die Tür, ging die Treppe hinunter und weiter durch den Korridor in den Schuppen, nahm ihr neues Fahrrad vom Haken und gelangte auf die Straße. Sie stieg nicht gleich auf. Zunächst trug sie es durch die dunkle und verlassene Gasse.
    Das ganze Dorf war in den Kellern beim Flaschenabfüllen oder in den Vorratskammern beim Obstsortieren. Gesprächs- fetzen drangen aus den Kellerfenstern, als quöllen sie aus der Erde hervor. Es war Herbst, und überall roch es nach der eben eingebrachten Ernte. Die Felder von Lurs erwarteten den Regen, den der Seewind ankündigte. Eine friedliche Stimmung war bei allen eingekehrt, nur nicht bei Marie.
    Marie raste nach Peyruis, um sich Gewißheit zu verschaffen. Gewißheit zu erlangen ist der tödliche Wunsch aller Eifersüchtigen, solange sie jung sind. Wie eine Besessene strampelnd brauchte sie kaum eine Viertelstunde, um die Wegstrecke von Lurs nach Peyruis zurückzulegen.
    Wie gut sie ihn kannte, diesen kleinen Platz mit dem Brunnen und der bunten Reihe von teils ärmlichen, teils stattlichen Häusern, die ihn umgaben. Jeden Tag stellte sie dort ihr Dreirad ab, wenn sie in der von den Barmherzigen Schwestern geleiteten Schule das Brot auslieferte. Es war ein seltsam geformter Platz. Hinter seinen Schlupfwinkeln und versteckten Ecken verbargen sich die Abzweigungen dunkler Straßen und türlose Schuppen, in denen Leiterwagen mit hocherhobenen Deichseln schliefen. Ungleichmäßig verteilte, teils

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