Das ermordete Haus
gewohnter Unbekümmertheit sagte sie: »Ich werde Sie nicht verraten. Ich mochte meinen Vater nicht besonders und glaube nun zu wissen, was er Ihnen angetan hat.« Sie zeigte auf die Papiere, die auf dem Tisch lagen. »Also war er der Mörder von La Burlière?«
»Sie waren zu dritt«, antwortete Séraphin. Seine Beine trugen ihn nicht mehr. Er ließ sie nicht aus den Augen, während er sich ihr gegenüber auf den Stuhl fallen ließ.
»Das also war Ihr Geheimnis? Sind Sie der Rächer? Der unerbittliche Vergelter aller Missetat?« Sie wollte seine Hände ergreifen, aber er zog sie zurück und versteckte sie hastig unter dem Tisch. »Macht Ihnen das eigentlich Spaß, Vergeltung zu üben?« fragte sie sanft.
Séraphin preßte die Zähne zusammen. Ihr die Wahrheit zu sagen würde ihm nicht weiterhelfen. Im Schein der Lampe sah er ihre Lippen glänzen. Er wußte, was sie wollte. Er wußte, daß sie nur an das eine dachte. Er wußte auch, was sie ihm damit auferlegen würde, und dieses Mal würde ihn kein Schuß im letzten Augenblick erlösen.
Sie sammelte die Papiere auf dem Tisch, faltete sie wieder zusammen, legte sie auf die Louisdors, schlug den Deckel der Dose zu, nahm sie und stellte sie zurück auf das Regal, neben die Bratpfanne. Auf der kurzen Strecke dorthin gerieten ihre Hüften in eine unübersehbare Schwingung. In ihrem schwarzen Spitzen- kleid sah sie halb nackt, wie in Lumpen gehüllt aus. Sie kam wieder zurück an den Tisch, deutete mit dem Finger auf Séraphin und berührte dabei seine Brust unter dem geöffneten Hemd.
»Von nun an bin ich Sie und Sie sind ich. Wir sitzen in einem Boot und gehen gemeinsam unter. Und falls Sie irgendwelche Bedenken haben sollten: Patrice kommt morgen frei.«
»Patrice ist es nicht …« murmelte Séraphin.
»Natürlich ist er es nicht.« Sie kam um den Tisch herum. Er saß noch immer da wie versteinert. Sie beugte sich zu ihm und flüsterte ihm ins Ohr: »Sie haben uns da einen großen Gefallen getan. Er hätte uns ruiniert …«
Er hielt seine Knie fest zusammengepreßt, die Hände zu Fäusten geballt. Sie umzubringen wäre nicht schwer, überlegte er, aber damit würde er nicht davonkommen. Man würde ihn sofort verhaften, und die beiden anderen Mörder seiner Mutter würden am Leben bleiben. Aber er wußte auch, daß er es niemals über sich bringen könnte, Charmaine zu töten. Im Gegenteil: Er spürte um sich herum ihre vibrierende Sinnlichkeit, die ihn streifte – wie eine Hummel den Blütenkelch streift, der sie trunken macht –, die von ihrem Blick ausging, von ihrer Stimme, von dem kaum wahrnehmbaren Hauch von Bergamotte, der sie umgab, diese Sinnlichkeit, die ihn vor Verlangen, vor Neugier und vor Entsetzen lähmte.
»Gehen Sie lieber«, sagte er, »ich kann nicht …«
»So, Sie können nicht? Wirklich nicht?« Sie umschlang seinen Oberkörper, preßte ihre Brüste gegen seine harten Schultern. Ihre schlanken Hände glitten von links und rechts mit der Bewegung eines Tauchers an seinem Oberkörper hinab und trafen sich an seinen Bauchmuskeln, streichelten sie kurz und drangen dann weiter nach unten vor. Sie entkleidete ihn geduldig und langsam wie eine Krankenschwester, die den Verband von einer eitrigen Wunde entfernt. Sie umfing sein Glied mit den Händen.
»Und jetzt? Sind Sie ganz sicher, daß Sie nicht können?«
Mit der Kraft eines Mannes stieß sie den Tisch weg, der ein abscheuliches Geräusch von sich gab. Sie baute sich vor Séraphin auf. Ihr schwarzes Spitzenkleid krachte in den Nähten, als sie es über den Kopf zog. Er sah ihren Bauch, das eigentümliche Vlies mit seinen enggestrickten Maschen.
Diesen Augenblick nutzte die Girarde, um sich mit einem Peitschenknall in Séraphins Kopf bemerkbar zu machen, ihr Leichentuch aus welken Blättern am Brunnen von La Burlière zurückzuschlagen. Mit jeder Erscheinung gewann ihr Bild schärfere Umrisse. In dieser Nacht enthüllte sie ihm eine neue Einzelheit: Die etwas hervortretenden blaßblauen Augen seiner Mutter sahen nicht geradeaus. Ein Auge, das linke, war etwas mehr nach oben, etwas weiter in die Ferne gerichtet.
War es dieses Trugbild, oder war es Charmaine, was ihn da wie ein Reittier bestieg? Was ihn mit den Beinen umschlang, als gelte es, einen Baumstamm zu erklimmen? Völlig reglos verharrte er unter diesem begehrlichen Schenkeldruck, wie ein Felsblock. Die einzige menschliche Regung, über die er keine Gewalt hatte, war dieses wie gegen seinen Willen steif gewordene Glied, das
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