Das erstaunliche Abenteuer der Expedition Barsac
indem er auf einen Baum wies, der einsam in der Ebene stand.
hinwies, daß sich an dieser Stelle jemals ein Grab befunden hatte. Fieberhaft bohrte man die Messer in den Boden und schaufelte mit vollen Händen die Erde auf den Rand des Loches, das schnell entstand.
»Achtung!« rief auf einmal der Reporter … »Hier sind Knochen …«
Miss Buxton war so tief bewegt, daß sie sich auf den Arm des Doktors stützen mußte.
Mit äußerster Vorsicht wurde nun die Grube freigelegt. Eine menschliche Gestalt erschien oder vielmehr ein fabelhaft erhaltenes Skelett. Das, was vormals die Arme gewesen waren, umhüllten noch Stoffetzen und Goldstickereien, die auf den Dienstgrad des Toten hinwiesen. Zwischen den Knochen des Rumpfes entdeckte man noch ein durch die Einwirkung der Zeit fast völlig zerstörtes Portefeuille. Es enthielt nur ein einziges Dokument: einen von seiner Schwester an George Buxton gerichteten Brief.
Die Augen des jungen Mädchens füllten sich mit Tränen. Als Jane jedoch das vergilbte Papier an die Lippen führte, zerfiel es zwischen ihren Fingern; fast ohnmächtig trat sie darauf an das Grab.
»Doktor Châtonnay«, brachte sie mit zitternder Stimme hervor, »würden Sie bitte die Güte haben, die sterblichen Überreste meines unglücklichen Bruders näher zu untersuchen?«
»Ich stehe Ihnen zu Diensten, Miss Buxton«, antwortete der Doktor, der selber so bewegt war, daß er ganz den Hunger vergaß, der in seinem Innern wühlte.
Dr. Châtonnay stieg hinunter in das Grab und machte sich mit der Sorgfalt und Methode eines Gerichtsmediziners an die von ihm geforderte Untersuchung. Als sie beendet war, drückte sein ernstes Gesicht tiefe Bewegung aus.
»Ich, Laurent Châtonnay, Doktor der Medizin der Universität von Paris«, erklärte er nicht ohne eine gewisse Feierlichkeit unter tiefem Schweigen, »bestätige hiermit folgendes: Erstens: die meiner Prüfung vorliegenden Gebeine, die Miss Buxton für die ihres Bruders George Buxton erklärt, zeigen keine Spur von irgendeiner durch eine Feuerwaffe hervorgebrachten Wunde. Zweitens: der Mann, von dem dies die Gebeine sind, ist ermordet worden. Drittens: der Tod ist durch einen von oben nach unten geführten Dolchstoß herbeigeführt worden, der das linke Schulterblatt durchbohrt und eine der oberen Herzkammern getroffen hat. Viertens: Hier ist die Tatwaffe, die ich selbst aus dem Knochenspalt herausgezogen habe, in dem sie steckengeblieben war.«
»Ermordet! …« murmelte Jane fassungslos.
»Ermordet, wie ich bestätigen kann«, wiederholte Dr. Châtonnay.
»Und von hinten …«
»Von hinten.«
»George wäre demnach unschuldig! …« rief Jane Buxton, in Schluchzen ausbrechend, aus.
»Die Unschuld Ihres Bruders ist eine Frage, die nicht in meinen Kompetenzbereich fällt, Miss Buxton«, antwortete mit sanfter Stimme Dr. Châtonnay, »und ich könnte sie demnach nicht mit der gleichen Sicherheit bestätigen wie die von mir festgestellten materiellen Fakten, doch erscheint sie mir, wie ich Ihnen sagen muß, dennoch unendlich wahrscheinlich. Tatsächlich ergibt sich aus meiner Untersuchung, daß Ihr Bruder nicht, wie man bislang glaubte, mit der Waffe in der Hand gefallen, sondern vor, während oder nach der Feuersalve, die die Geschichte überliefert hat, ermordet worden ist. In welchem genauen Augenblick und von wem ist er erstochen worden? Ich weiß es nicht. Alles, was man sagen kann, ist, daß dieser Stich nicht von einem Soldaten der regulären Truppe ausgeführt worden ist, denn die Waffe, mit der Ihr Bruder umgebracht wurde, war ein Dolch und keine der im Kriege verwendeten.«
»Danke, Doktor«, sagte Jane, die sich allmählich wieder erholte. »So, wie die ersten Ergebnisse meiner Reise ausgefallen sind, scheinen sie mir geeignet, mein Vertrauen zu stärken … Noch ein Wort, Doktor Châtonnay. Wären Sie bereit, schriftlich zu bestätigen, was Sie heute gesehen haben, und würden wohl diese Herren hier die Güte haben, dabei als Zeugen zu dienen?«
Alle stellten sich voller Eifer Jane Buxton zur Verfügung. Auf einem Blatt Papier, das Monsieur Poncin aus seinem Schreibheft herauszulösen bereit war, redigierte Amédée Florence einen Bericht über die im Laufe des Morgens festgestellten Fakten. Dieses von Dr. Châtonnay und darauf von allen Anwesenden unterzeichnete Protokoll wurde Jane Buxton zugleich mit der im Grabe ihres Bruders vorgefundenen Tatwaffe überreicht.
Beim Berühren dieser Waffe zuckte das junge Mädchen zusammen.
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