Das erstaunliche Abenteuer der Expedition Barsac
Es war ein Dolch, dessen starke, rechteckige, von tiefen Rinnen durchzogene Schneide auf beiden Seiten von einer dicken, vielleicht mit Blut untermischten Rostschicht überzogen war. Auf dem infolge der Bodenfeuchtigkeit halbverwesten Ebenholzgriff bemerkte man noch die Spur einer inzwischen verschwundenen Inschrift.
»Sehen Sie nur, meine Herren«, sagte Jane, indem sie auf diese fast unsichtbaren Linien wies, »diese Waffe hat früher einmal den Namen des Mörders getragen.«
»Schade, daß er ausgelöscht ist«, seufzte Amédée Florence, der nun seinerseits die Waffe genau untersuchte. »Aber warten Sie … Man kann noch etwas erkennen … ein i und ein l, meine ich.«
»Das ist nicht eben viel«, stellte Barsac fest.
»Vielleicht braucht man nicht mehr, um den Mörder zu überführen«, brachte Jane mit ernster Stimme vor.
Auf ihren Befehl schüttete Tongané die zuvor ausgehobene Erde wieder auf die Reste George Buxtons und glättete sie sodann aufs sorgfältigste. Darauf überließen sie die tragische Stätte wieder ihrer Einsamkeit und marschierten weiter auf Koubo zu.
Nach drei oder vier Kilometern jedoch mußten sie wieder halten. Die Kräfte verließen Jane Buxton, ihre Knie gaben nach, so daß man sie auf den Boden betten mußte.
»Die Aufregung«, konstatierte Dr. Châtonnay.
»Und der Hunger«, setzte mit gutem Grund Amédée Florence hinzu. »Auf jetzt, alter Freund Saint-Bérain! Wir werden doch Ihre Nichte – und wenn sie zehnmal Ihre Tante ist – nicht an Schwäche eingehen lassen, das wäre doch des Teufels! Auf, zur fröhlichen Jagd! Und versuchen Sie bitte nicht, mich für ein erlesenes Wildbret zu halten!«
Unglücklicherweise war hier vom Wild kaum die Rede. Der größte Teil des Tages verging, bevor die beiden Schützen ein lebendes Tier vor die Flinte bekamen. Erst gegen Abend lächelte ihnen das Glück. Dann allerdings war das Ergebnis glänzender denn je; nacheinander erlegten sie zwei Trappen und ein Feldhuhn. Zum ersten Mal seit langem war das genug für eine reichliche Mahlzeit. Dafür allerdings mußte man darauf verzichten, Koubo noch am gleichen Abend zu erreichen, vielmehr sich entschließen, eine letzte Nacht unter freiem Himmel zu verbringen.
Von Müdigkeit überwältigt und im übrigen überzeugt, den Gegner irregeführt zu haben, verzichteten an diesem Abend die Reisenden auf die Wacheinteilung, die sie sich sonst auferlegten. Deshalb entgingen ihnen denn auch die höchst merkwürdigen Phänomene dieser Nacht. Gegen Westen zu blitzten mehrmals schwache Lichter in der Ebene auf. Andere, stärkere, antworteten ihnen von Osten her aus großer Höhe, wiewohl es in dieser ganz besonders flachen Gegend keinerlei Gebirge gab. Allmählich näherten das schwache Flimmern im Westen und der starke Lichtschein im Osten sich einander an, wobei das erstere langsam vorrückte, während letzterer sehr schnell näherkam. Alle beide trafen schließlich an dem Punkt zusammen, an dem sich die Schläfer befanden.
Plötzlich wurden diese durch das seltsame Brummen, das sie bereits nach ihrem Aufbruch aus Kankan vernommen hatten, aufgeweckt, nur war dieses Brummen heute unendlich viel stärker.
Kaum hatten sie die Augen geöffnet, als blendendes Licht aus etwa zehn Quellen von einer Stärke wie von elektrischen Scheinwerfern, weniger als hundert Meter von ihnen entfernt, jäh aus dem Osten hervorbrach. Sie suchten noch, sich über die Natur dieser Lichterscheinung klarzuwerden, als Männer aus dem Dunkel von Norden und Süden hervor in den Lichtkegel traten und sich auf die noch völlig benommenen und geblendeten Reisenden stürzten. Im Nu waren alle überwältigt.
Aus dem Dunkel erklang eine rohe Stimme, die auf Französisch fragte:
»Alles in Ordnung, Jungens?«
Dann, nach kurzem Schweigen, erfolgte der Anruf:
»Der erste, der sich rührt, bekommt eine Kugel in den Kopf … Los, marsch jetzt, ihr anderen!«
Zweiter Teil
I.
Blackland
Fast genau da, wo der zweite Meridian westlicher Länge und der sechzehnte Grad nördlicher Breite sich treffen, das heißt etwas stromabwärts vom nördlichsten Punkt, den der Niger erreicht, liegt die Stadt Gao-Gao auf dem linken Ufer dieses Flusses, der mit diesem Teil seines Laufes die südwestliche Grenze der Sahara bildet. Jenseits davon beginnt die große Wüste, die sich im Norden bis nach Marokko, Algerien und Tripolis, im Osten bis nach Ägypten und Nubien, im Süden bis zu den europäischen Besitzungen in Zentralafrika, im Westen bis
Weitere Kostenlose Bücher