Das erstaunliche Abenteuer der Expedition Barsac
übertrieb, »Monsieur Florence ist frei. Sie aber, Doktor, sind ein Teil der Expedition, die mir untersteht, wenn ich richtig vermute. Sollten Sie also ernstlich den Plan hegen, auch Ihrerseits zu desertieren, damit Ihr Chef auch noch von dem letzten seiner Soldaten im Stich gelassen dasteht?«
»Ich versichere Ihnen, Monsieur Barsac …« stotterte der Doktor, dem diese Seite der Frage noch gar nicht aufgegangen war.
»Wenn aber das nicht Ihre Absicht ist, Doktor, sollten Sie dann etwa in der Vorstellung leben, daß auch ich nach Koubo gehen würde? Aber steht es denn Ihnen zu, einfach über unseren Reiseweg zu bestimmen? Steht es vor allem Ihnen zu, mir dadurch, daß Sie eine solche Initiative ergreifen, eine Lektion zu erteilen?«
»Erlauben Sie mir, Monsieur Barsac …« versuchte der arme Doktor seinerseits ein Wörtchen einzuschieben.
»Nein, Doktor, ich erlaube nicht«, erwiderte Barsac, dessen Stimme immer mehr anschwoll. »Und lassen Sie sich sagen, daß ich, der verantwortliche Leiter der Expedition, Ihre Pläne nicht billige. In Anbetracht der Tatsache vielmehr, daß der einzige Führer, der uns bleibt, von Miss Buxton engagiert worden ist und ihr allein zur Verfügung steht, ferner, daß wir uns ohne die Hilfe von Miss Buxton und Monsieur de Saint-Bérain, die die einzigen Bambarakundigen unter uns sind, den Eingeborenen nicht verständlich machen können, will ich, verlange ich, BEFEHLE ICH…«
Barsac, dessen Stimme eine imponierende Klangfülle erreicht hatte, legte eine wohlberechnete Pause ein, bevor er fortfuhr.
» … daß wir«, schloß er seine Rede, »uns alle über Koubo zum Niger begeben.«
»Was sagen Sie da, Monsieur Barsac? …« fragte Jane, die nicht recht gehört zu haben glaubte.
»Ja, so ist es, Miss Buxton«, schnitt Barsac ihr jede Weiterrede ab. »Sie müssen sich wohl oder übel damit abfinden, uns bis zum Schluß zu ertragen.«
»Oh, Monsieur Barsac …« murmelte ein letztes Mal Jane Buxton, deren Tränen nun noch reichlicher strömten.
Sie war mit ihren feuchten Augen nicht allein, alle waren tief gerührt. Die Männer bemühten sich gleichwohl, ihre Ergriffenheit zu verbergen, sie verriet sich bei ihnen nur durch eine Art von Nervosität und eine Flut überflüssiger Worte. Rede und Antwort überschlugen einander.
»Es ist eine denkbar einfache Unternehmung«, verkündete Amédée Florence, »denn wir haben ja genügend Lebensmittel.«
»Für fünf Tage«, fügte Dr. Châtonnay in dem gleichen Ton hinzu, in dem er ›sechs Monate‹ gesagt haben würde.
»Nur noch für vier«, berichtigte Barsac, »aber wir kaufen uns neue.«
»Zudem gibt es ja auch noch die Jagd«, gab der Doktor zu bedenken.
»Und den Fischfang«, setzte Saint-Bérain hinzu.
»Und die Früchte, in denen ich mich ganz gut auskenne«, behauptete Dr. Châtonnay.
»Ich kenne Gemüse: Bataten, Yamswurzeln«, mischte Tongané sich ein.
»Ich machen Schibutter!« übertrumpfte ihn Malik noch.
»Hipp, hipp, hurra!« rief Amédée Florence. »Das ist ja das reine Capua, das Land Kanaan, das Paradies auf Erden!«
»Morgen wird aufgebrochen«, entschied schließlich Barsac. »Richten wir uns darauf ein, ohne auch nur eine Stunde Zeit zu verlieren!«
Zu erwähnen bleibt dabei, daß Monsieur Poncin nicht den Mund aufgetan hatte. Statt dessen hatte er, sobald entschieden war, daß alles sich nach Koubo wenden würde, sein Schreibbuch hervorgezogen und im Nu eine Seite mit unzähligen Zahlenreihen bedeckt.
»Alles schön und gut«, bemerkte er zu den letzten Worten Barsacs. »Das ändert aber nichts daran, daß der Marsch nach Koubo, mit dem nach Ségou-Sikoro verglichen, eine Verlängerung unseres Reisewegs um vierhundert Kilometer bedeutet. Unsere Schritte messen bekanntlich zweiundsiebzig Zentimeter, das macht fünfhundertfünfundfünfzigtausend fünfhundertfünfundfünfzig Schritte und noch etwas darüber, worüber wir hinwegsehen können. Nun aber machen wir pro Stunde, wie ich bereits sagte, dreitausendsechshundertundeinenzehntel Schritt, und gehen jeden Tag fünf Stunden fünfundvierzig Minuten und achtzehn Sekunden. Also …«
Aber niemand hörte Monsieur Poncin zu. Barsac, Dr. Châtonnay, Amédée Florence, Jane Buxton und Saint-Bérain bereiteten sich schon eifrig auf die morgige Abreise vor, und Monsieur Poncin sprach sozusagen ›vor leeren Bänken‹.
XII.
Eine Grabstätte und menschliche Gebeine
Von sechs Trägern begleitet, die der ›dougoutigui‹ von Kadou beigebracht hatte,
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