Das erste der sieben Siegel
bedeuteten – ein Massaker –, war ihm gleichzeitig klar, dass es sich für ihn auszahlen würde, die Entdeckung als Erster gemacht zu haben. Ein Orden vielleicht, oder wenigstens eine Belobigung. Und so kam es, während er in der Tür seines Büros stand, dass sich trotz des eindeutigen Beweises für Massenmord in seinen Händen ein kleines Grinsen auf seinem Mund abzeichnete.
Es dauerte fast achtundvierzig Stunden, bis die Abschrift der Befragung von Kang bei ihm eintraf. Der Text war noch immer auf Koreanisch verfasst: sechsundzwanzig Seiten, dazu, wie nicht anders zu erwarten, eine lahme Entschuldigung von MOTOWN (ihre Übersetzer, so hieß es, seien ›alle überlastet‹). Fitch hatte gehofft, allen Mitarbeitern der ›Tasi-ko Arbeitsgruppe‹ (eine, wie er zugeben musste, etwas hochgestochene Bezeichnung) die Übersetzung geben zu können. Doch da das nicht möglich war, entschied er sich stattdessen, Harry Inoue zu sich zu bitten. Harry sprach fließend Koreanisch und noch vier weitere Sprachen.
Die Gruppe bestand aus fünf Leuten. Neben Fitch und Inoue waren da noch Janine Wasserman, eine erfahrene Ermittlerin, die gerade von einer Dienstreise nach Seoul ins Hauptquartier zurückgekehrt war; Allen Voorhis, ein talentierter Analytiker, der fast seit Beginn seiner beruflichen Laufbahn im National Photo Interpretation Center arbeitete; und Dr. George Karalekis, ein Arzt im Institute of Science & Technology.
Fitch begrüßte sie alle in dem kleinen Konferenzraum, den er für Freitag morgen reserviert hatte, und verteilte Kopien der Fotos, die er von der NIMA erhalten hatte. Dann fragte er Harry Inoue, wie schnell er die Abschrift der Kang-Vernehmung übersetzen könne.
»Kommt darauf an«, sagte Inoue. »Kann ich sie mit nach Hause nehmen?« Fitch schüttelte den Kopf, und Harry zuckte die Achseln. »Dann Dienstag.«
»Okay«, erwiderte Fitch. »Vielleicht könnten Sie jetzt schon mal einen Blick reinwerfen? Und grob sagen, was drin steht?«
Inoue nickte und fing an zu lesen.
Als alle Platz genommen hatten, erklärte Fitch, worum es ging. Er erzählte, dass ein Sanitäter namens Kang bei Nacht die Demarkationslinie überquert und mit einer Geschichte aufgewartet hatte, die einfach unglaublich wäre – wenn die vorliegenden Fotos sie nicht bestätigen würden. Aus irgendeinem Grund hatte die nordkoreanische Armee ein ganzes Dorf zerstört, noch dazu ein friedliches. Allem Anschein nach mit einer Benzin-Luft-Bombe. Wenn eine dreißig Jahre alte Volkszählung stimmte, dann waren über hundert Menschen getötet worden.
»Ich sehe keine Leichen«, sagte Voorhis, der durch den unteren Teil seiner Bifokalbrille auf die Fotos blickte. »Ich sehe nur jede Menge Schutt.«
Fitch nickte. »Richtig«, sagte er. »Kang könnte sich irren. Es ist durchaus möglich, dass sonst noch jemand überlebt hat.«
»Vielleicht alle«, sagte Wasserman.
Fitch blickte sie an. Sie war eine große, füllige Frau Ende dreißig mit einer rauen Stimme und durchdringenden blauen Augen. Ihre elegante Kleidung bestand nur aus Designerklamotten, wie Fitch vermutete. (Es hieß, sie hatte Vermögen und war mit den Guggenheims verwandt, oder mit den Rothschilds. Jedenfalls Familienkapital, und das jede Menge.) »Wie meinen Sie das?«, fragte er.
Wasserman zuckte mit den Schultern. »Es wäre nicht das erste Mal, dass die Nordkoreaner Menschen umsiedeln. Und es wäre auch nicht das erste Mal, dass sie irgendwas inszenieren.«
Fitch dachte darüber nach und sagte dann: »Könnte was dran sein. Vielleicht haben sie die Leute woanders angesiedelt. Vielleicht brauchten sie das Gelände, wo das Dorf stand, für andere Zwecke. Aber Kang sagt etwas anderes. Und Kang ist unsere einzige Informationsquelle.«
Dr. Karalekis schaltete sich mit der nahe liegenden Frage ein: »Apropos, was sagt Mr. Kang denn nun eigentlich? Was war das Motiv für die ganze Zerstörungsaktion?«
Fitch wandte sich an Inoue und hob die Augenbrauen.
Inoue räusperte sich und beugte sich vor, die Augen weiter auf den Bericht vor sich geheftet. »Er sagt – und ich paraphrasiere –, dass das Dorf von einer Epidemie heimgesucht wurde. Und dass viele Bewohner bereits gestorben oder todkrank waren.«
»Sagt er, was die Todesursache war?«, fragte Karalekis.
Inoue schüttelte den Kopf und blätterte eine Seite um. »Nein. Er sagt, er hätte so etwas noch nie zuvor gesehen. Über vierzig Grad Fieber. Brandige Geschlechtsteile.« Er blickte Karalekis fragend an,
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