Das erste der sieben Siegel
kamen Geräusche, die völlig anders waren als die im Wald: ein Summen von Maschinen, ein schwaches metallisches Klappern. Teile des Komplexes waren erhellt, arbeiteten – und von allem schien ein seltsam kühles, fluoreszierendes Glühen auszugehen. Zwischen den einzelnen Gebäuden verliefen Straßen. Zwei große Laster standen vor der Laderampe des Lagerhauses. Auf den weißen Seiten der Lkws prangten eine untergehende Sonne und der Schriftzug ECO-VITA.
Bis jetzt hatte er noch kein einziges menschliches Wesen entdeckt, doch er spürte, dass sie da waren, dass sie im Innern dieser Anlage arbeiteten. Und dort ein Virus produzierten? Obwohl Tom Deer beteuert hatte, die Herstellung eines Virus sei ungefähr so schwierig, wie sich selbst ein Fass Bier zu brauen, musste er sich eingestehen, dass er insgeheim doch gehofft hatte, der ›Tempel‹ wäre dieser Aufgabe nicht gewachsen und würde daran scheitern. Angesichts der Größe und der Qualität dieser Anlage hier erstarb diese Hoffnung in ihm.
Jenseits der modernen Gebäude konnte Frank einen weiteren Baumbestand ausmachen. Und dahinter, hoch oben auf dem Berg, stand ein großes Haus, zu dem eine gewundene Zufahrtsstraße hinaufführte, die von altmodischen Kugellampen gesäumt wurde. Eine Villa.
Chez Solange.
Um den Gebäudekomplex zu umgehen, musste er wieder zurück in den Wald. Als er die Anlage schließlich hinter sich gelassen hatte, war der Himmel schon fast hell. Nun konnte er sich schneller bewegen, und schon bald befand er sich kurz vor dem Wald zwischen Fabrik und Villa. Es war ein alter Wald aus Tigerschwanzfichten mit Stämmen so gerade wie Bleistifte. Hier, so nah an der Villa, waren die unteren Äste gekappt worden, sodass er wie unter einem Baldachin gehen konnte. Es gab kein Unterholz; er kam sich vor wie in einer Parklandschaft. Frank lehnte sich gegen einen Baum, um zu verschnaufen.
Ein surrendes Geräusch ließ ihn aufblicken. Es war ein Geräusch, das er auf seinem Weg durch das Anwesen oft gehört hatte, ein Vogel, ein großer Käfer, einer der nächtlichen Klänge. Deshalb blickte er eher instinktiv nach oben. Er erwartete eigentlich nicht, irgendwas zu sehen. Aber er sah etwas.
Und was er da sah, ließ ihm fast das Herz stillstehen. Es war ein winziges rotes Lämpchen an einer Überwachungskamera. Die Kamera bewegte sich leicht, als er zu ihr aufblickte, eine mechanische Winkelkorrektur. Sie schwenkte mit einem leisen Surren nach rechts, stoppte, stellte sich ein, schwenkte nach links.
Verzweiflung überkam ihn.
Er wusste nicht, ob diese Geräte Infrarotsensoren oder Überwachungskameras waren, aber er wusste, dass das surrende Geräusch ihn die ganze Zeit über begleitet hatte. Er war überwacht worden, seit er das Grundstück betreten hatte.
Dennoch, Überwachungskameras waren wirkungslos, wenn niemand auf sie achtete. Außerdem würde er nicht zum Wagen zurückkehren, das war so sicher wie das Amen in der Kirche. Er würde Annie finden und sie hier rausholen. Es musste eine Möglichkeit geben.
Er hatte vor, einen großen Bogen um die gepflegte Anlage der Villa zu machen, um ihre sorgfältig ausgeleuchtete und schön angelegte Zufahrt. Er hatte vor, sich am Waldrand entlangzubewegen, wo das Licht besser war, und zwischen den Bäumen hindurch hinter die Villa zu gelangen. Dort wollte er sich ein wenig umsehen.
Doch plötzlich stand er in gleißendem Licht, geblendet. Eine Frauenstimme sagte: »Treten Sie bitte auf die Lichtung, und zwar so, dass wir Ihre Hände sehen können.«
Man legte ihm Hand- und Fußfesseln an und warf ihn in einen kleinen Raum, in dem sich nichts befand außer einer in die Decke eingelassenen Lampe und einer Toilette in der Ecke.
Es war unmöglich zu sagen, wie lange er in dem Raum war, weil er nichts hatte, um die verstreichende Zeit irgendwie abzuschätzen. Er meinte, mindestens vierundzwanzig Stunden, aber sicher war er nicht. Der schwache Lichtstreifen um die Tür blieb immer gleich. Jedenfalls war er lange genug in dem Raum, um sehr hungrig und durstig zu werden. Lange genug, um etliche Male wegzudämmern und jedes Mal in einem Zustand desorientierter Benommenheit zu erwachen, der ihm allmählich immer angenehmer erschien, als bei vollem Bewusstsein zu sein. Lange genug, um allmählich zu befürchten, man könnte ihn vergessen haben oder, noch schlimmer, dass man ihn einfach in diesem Raum krepieren lassen wollte.
Und dann öffnete sich die Tür, und aus dem blendenden Licht traten zwei bewaffnete
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