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Das erste der sieben Siegel

Titel: Das erste der sieben Siegel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Case John F.
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einzelne Teil einen fünfzehnminütigen Vortrag erforderlich machte, und es sah ganz danach aus, mussten sie noch Stunden in diesem engen, stickigen Raum sitzen.
    Der große Mann beugte sich vor, um zu demonstrieren, wie man die Brille am besten aufsetzte, wobei er übertrieben mit dem Kopf wackelte, damit die Gläser auch wirklich fest am Gesicht hafteten. Als er sich wieder aufrichtete, die schwarze, ballonartige Brille an Ort und Stelle, sah er aus wie ein übergroßes Insekt. »Sie sollte ganz eng sitzen – wie eine Badebrille«, führte er weiter aus. »Die Dichtungsmanschetten an den Schläfen sollten keinerlei Licht durchlassen.«
    Annie unterdrückte ein Gähnen und warf Dr. Kicklighter einen Blick zu. Er war bekannt für seine Ungeduld, und den Anzeichen nach – gereiztes Wippen mit dem Fuß, Kauen an den Fingerknöcheln – war er kurz davor zu platzen. Und das konnte sie nicht zulassen. Doctor K konnte absolut nicht mit Menschen umgehen, und kollegiale Höflichkeit war für ihn ein Fremdwort. Er kapierte einfach nicht, dass es besser war, ein paar Stunden Langeweile zu ertragen, als die Menschen gegen sich aufzubringen, auf die man angewiesen war.
    Und die einem schließlich einen Gefallen taten.
    Eisbrecher waren normalerweise Jahre im voraus ausgebucht. Und einen zu finden, der unter der richtigen Flagge am richtigen Ort zum richtigen Zeitpunkt fuhr und darüber hinaus bereit war, die Kopervik-Expedition aufzunehmen, war … nun ja, weiß Gott keine Selbstverständlichkeit. Und dennoch hatte sich irgendwie eins ins andere gefügt. Die Finanzierung, die sie vor über einem Jahr beantragt und an die sie schon nicht mehr geglaubt hatte, war plötzlich bewilligt worden – und wie durch ein Wunder hatten sie auch noch Platz an Bord der Rex Mundi gefunden, eines betagten Eisbrechers, den die National Oceanic and Atmospheric Administration (NOAA) angemietet hatte.
    Wie Doctor K das zuwege gebracht hatte, war ihr ein Rätsel, aber sie hatte nicht die Absicht, einem geschenkten Gaul ins Maul zu schauen. Das eine Mal, als sie ihn fragte, setzte er ein rätselhaftes Grinsen auf und sagte: »Nun, Annie, wie es aussieht, haben wir Freunde auf höchster Ebene.« Und so musste es wohl sein: Unter anderem bedeutete Annies Fahrt auf der Rex Mundi nämlich, dass die Schneemänner – die Schnee- und Eisphysiker der NOAA – auf fünf Tage Landurlaub in Oslo würden verzichten müssen.
    Was sie also nun wirklich nicht gebrauchen konnten, waren irgendwelche Reibereien mit den Physikern oder der Crew. Letztere stellte natürlich schon an sich ein Problem dar. Trotz der versprochenen großzügigen Sonderzulage hatten einige von der Crew das Schiff verlassen, als sie erfuhren, dass auf der Kopervik-Etappe Leichen exhumiert werden sollten. Es waren zwar Ersatzleute gefunden worden, aber das war nicht einfach gewesen. Seeleute, so hatte man ihnen gesagt, waren abergläubisch, wenn es darum ging, eine Ladung Leichen zu transportieren.
    Der Mann mit der Schneebrille ließ sich weiter über Lichtbrechungswinkel und Sonnenintensität in der Arktis aus. Wäre es nach ihr gegangen, hätte Annie den ganzen Tag lang geduldig dagesessen, doch zu ihren Aufgaben als Schützling gehörte es nun mal, auch ihren Mentor vor Unbill zu bewahren. Doctor K konnte richtig beleidigend werden, und als sie sah, dass sein Fuß das Tempo erhöhte, schaltete sie sich plötzlich ein. »Ich denke, wir haben das soweit verstanden«, sagte sie mit einer, wie sie hoffte, heiteren und versöhnlichen Stimme.
    »Wie bitte?« Der Schneemann konnte einfach nicht fassen, dass er unterbrochen worden war.
    »Ich … wir … ich meine, wir haben verstanden, dass wir die Brille tragen sollen, wenn wir nach draußen gehen.« Annie täuschte unbeholfen ein Gähnen vor, in der Hoffnung, er würde es kapieren: Die Leute sind müde. Sie haben einen Transatlantikflug hinter sich.
    Doch er blickte drein, als hätte er einen Schlag ins Gesicht bekommen. Sie wusste, dass sie gegen ein ungeschriebenes Gesetz verstoßen hatte – wenn Experten ›Zivilisten‹ instruierten, sogar wenn diese Zivilisten selbst Wissenschaftler waren, wurde höfliche Aufmerksamkeit, wenn nicht gar Ehrerbietung erwartet. Dabei ging es um Revierverteidigung. Wenn Doctor K fachfremde Gäste in seinem Labor hätte und denen erklärte, wie man einen virösen Abstrich behandelte, würde er gespannte Aufmerksamkeit erwarten. Annie entfuhr ein kurzes, nervöses Lachen, aber sie fuhr unbeirrt

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