Das erste der sieben Siegel
Land gefallen waren.
Karalekis vermutete, dass sich in dem einen oder anderen Wachsblock Spuren des Virus finden ließen. Und am ehesten in den Lungengewebeproben. Dabei handelte es sich um papierdünne Scheibchen, die man Soldaten entnommen hatte, die im Herbst 1918 an einer Atmungserkrankung gestorben waren. Doch selbst in diesen Fällen war die Wahrscheinlichkeit, eine nützliche Probe zu finden, verschwindend gering. Da sich das Influenzavirus bereits innerhalb von vierundzwanzig Stunden nach dem Tod seines Wirts allmählich zersetzt, war davon auszugehen, dass es, selbst wenn es gefunden wurde, vermutlich nicht für die Herstellung eines Impfstoffs taugen würde.
Dennoch musste der Versuch unternommen werden, und so geschah es. Gestützt durch eine entsprechende Verfügung, dass bestimmte Forschungen für den Erhalt der nationalen Sicherheit oberste Priorität hatten, initiierte Karalekis eine umfassende und zeitaufwendige Suche, die Jahre in Anspruch zu nehmen drohte. Mehr konnte er nicht tun. Er war nicht besonders zuversichtlich, dass die U-2-Aufklärungsflugzeuge irgendetwas finden würden. Biolabors ließen sich leicht tarnen. Und das ECHELON-Programm, so umfangreich es auch war, arbeitete nur so effizient, wie der Feind unvorsichtig war. Falls die nordkoreanische Nachrichtenübermittlung Tasi-ko nicht erwähnte, würde ECHELON nichts ausspucken. Und die CIA stand im Regen.
Vielleicht aber auch nicht.
An einem strahlenden Nachmittag im Februar sah Karalekis, der an seinem Schreibtisch im Institute of Science & Technology saß, unerwartet Fitch in seiner Tür stehen.
»Ich glaube, Epstein hat unser kleines Problem gelöst«, sagte Fitch.
Karalekis blickte skeptisch. »Wiiirklich?!« Er zog das Wort in die Länge, als würde er es auf einer Wasserrutsche aussprechen.
»Ja, wirklich.« Fitch ließ sich auf einen Stuhl plumpsen und warf eine Akte auf Karalekis’ Schreibtisch.
Der Arzt betrachtete sie misstrauisch. »Und was ist das … bitte schön?«
»Ein Antrag auf Finanzierung eines Forschungsprojektes«, erwiderte Fitch. »Ein alter. Epstein hat mir davon erzählt, und ich habe mir von der National Science Foundation eine Kopie geben lassen.«
Karalekis blickte auf das Deckblatt:
»Suche nach ›A/Kopervik/10/18‹«
beantragt von
Dr. med. Benton Kicklighter (NIH)
Dr. Anne Adair (Georgetown University)
»›A-Kopervik, zehn-achtzehn‹«, sagte er. »Was zum Teufel bedeutet das?«
Fitch grinste. »Tja«, sagte er, »das, mein Freund, ist ja gerade der Knaller.«
»Ach ja?«
»Und ob«, sagte Fitch. »Wie immer sie es auch nennen wollen, die Spanische Grippe ist und bleibt die Spanische Grippe.«
Karalekis runzelte die Stirn. »Ich verstehe nicht ganz.«
»Schauen Sie, das hier ist ein Antrag auf Finanzierung eines Forschungsprojektes, ein abgelehnter Antrag, von einem Arzt an die NIH. Einem Typen namens Kicklighter und einer gewissen Adair. Wie sich herausstellt, gibt es da diese toten Bergarbeiter –«
»Toll.«
»– und die beiden wollen sie ausgraben. Sie liegen auf einem Friedhof irgendwo weit oben im nördlichen Polarkreis.«
»Und das soll uns weiterbringen … wie?«, sagte Karalekis.
»Sie sind 1918 gestorben. Und laut dieser Akte ist es ganz offensichtlich, was sie getötet hat: Die Symptome sind klassisch. Hohes Fieber, Zyanose, Erbrechen und so weiter … Und nach dem, was hier steht« – Fitch tippte mit dem Zeigefinger auf den Antrag, einmal, zweimal, dreimal – »liegen sie seitdem im Dauerfrost begraben.«
Karalekis beugte sich vor. »Wiirklich?!«, sagte er. »Im Dauerfrost … « Er wiederholte das Wort, als würde er es zum ersten Mal aussprechen. »Und … die glauben …?«
Fitch zuckte die Achseln. »Sie wissen es nicht. Niemand weiß es. Solange sich keine Expedition auf die Suche macht, wird es sich nicht sagen lassen. Aber wie es aussieht, wimmelt es in der ganzen Gegend um Kopervik – irgendeine Geisterstadt, vermute ich – nur so von Eisbären. Eisbären, klar?«
»Ja. Na und?«
»Also haben sie sie sehr tief begraben«, sagte Fitch. »Und sehr sehr kalt.«
4
Murmansk
23. März 1998
»Viertens«, sagte der große, schlaksige Mann, der vorn im Raum stand, »die Schneebrille.« Mit erhobener Hand ließ er eine Brille an einem Finger baumeln. »Gehen Sie unter gar keinen Umständen tagsüber ohne Brille nach draußen, nicht mal für eine Minute.«
Annie Adair warf beunruhigt einen Blick auf die lange Ausrüstungsliste. Wenn jedes
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