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Das erste der sieben Siegel

Titel: Das erste der sieben Siegel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Case John F.
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nur dienstags bis freitags eine Maschine, aber von Tromsø nach Hammerfest konnte man nur am Wochenende fliegen.
    Doch das war egal. Er hatte ausreichend Zeit. Die Rex Mundi würde frühestens in zwei Tagen einlaufen, und dann wäre er bereits dort. Was immer auch passierte (und über dem Nordatlantik näherte sich schon wieder ein Sturm), er würde das Schiff nicht ein zweites Mal versäumen.
    Und er war froh, endlich dem ›Tschernomorskaja‹ den Rücken gekehrt zu haben. Im Vergleich dazu war sogar die Flughafenlounge in Murmansk eine Verbesserung gewesen. Obwohl er fast einen ganzen Tag in sich zusammengesunken auf einem harten Plastikstuhl verbracht hatte, immer wieder aufgeschreckt durch unverständliche Lautsprecherdurchsagen, hatte er es warm gehabt. Und das konnte er von den Tagen in Archangelsk weiß Gott nicht behaupten.
    So blickte er schließlich, als der Jet der Norsk Transport durch die Wolken stieß, auf sein Ziel hinab: Hammerfest. Aus der Luft wirkte die Stadt ordentlich und sauber, eine Ansammlung von adretten, kleinen Gebäuden, die sich am Rand einer glatten grauen See zusammendrängten. Als die Maschine sich in die Kurve legte, konnte er sehen, dass der Hafen, gesäumt von kleinen Gebäuden, im Windschatten einer hohen Klippe lag und dass etliche Schiffe an den Docks vertäut waren. Drei lange Kais ragten ins Meer hinaus, wo Fischer- und Vergnügungsboote an ihren Liegeplätzen dümpelten.
    Zumindest aus der Luft erinnerte die Stadt ihn an das Weihnachtsdorf seiner Mutter, eine umfangreiche Sammlung von Keramikgebäuden, -bäumen und -figürchen, die jedes Jahr liebevoll auf einer Fläche aus makellosem Baumwollschnee arrangiert wurden. Niemand – nicht einmal die Lieblingsnichten oder Cousinen, die zu Besuch kamen – durfte das Dorf oder irgendeinen seiner Bewohner berühren. In den winzigen Fenstern jedes Hauses und Ladens funkelte Licht; die Spiegelfläche des Teichs war stets glänzend und makellos. Jede Figur hatte ihren festen Platz, der niemals verändert wurde – jedes Jahr sangen dieselben Figuren Weihnachtslieder vor immer demselben Haus, während ein großer Mann beladen mit Geschenken den Gehweg zu dem alten georgianischen Stadthaus hocheilte.
    Seine Mutter wischte täglich den Staub von den Häusern, und schon als Kind begriff Frank, dass das Dorf für sie eine Gegenwelt war. Im Gegensatz zu ihrem Leben in einem beengten Doppelhaus, kaum anderthalb Kilometer in Windrichtung von einer Raffinerie entfernt, stellte seine Mutter sich vor, sie würde in einem dieser hübschen kleinen Häuser wohnen und Plätzchen backen.
    Das Dorf war eine ideale und geordnete Welt, wo der Schnee stets weiß war und niemand am Samstag vorbeikam, um irgendwelche Raten zu kassieren. Es war so eine Stadt, eine Weihnachtsstadt, wo die Väter mit Blumen nach Hause kamen und kein Mann zu tief ins Glas schaute oder seine Frau betrog.
    Daly rutschte unbehaglich in seinem Sitz hin und her, als das Dorf zum Flugzeug emporstieg. Er wollte nicht an seine Kindheit erinnert werden. Und überhaupt, seine Mutter war inzwischen gestorben, und das Weihnachtsdorf lag verstaut auf Tante Delias Speicher. Es hatte ihn erstaunt, wie die Schwestern seiner Mutter nach ihrem Tod über das Haus hergefallen waren. Sie hatten alle Formalitäten erledigt, als ›Frank senior‹ nicht aufzufinden war. (Was kein Wunder war, weil er sich drüben in Breezewood tage- und nächtelang mit einer Tänzerin amüsiert hatte – wie hätte er da erfahren sollen, dass seine Frau tot war?) Und als er dann höchstselbst auf der Beerdigung erschienen war, wie betäubt vor schlechtem Gewissen wie vor Trauer, hatte er sich plötzlich und untypischerweise äußerst großzügig gezeigt. »Hier«, hatte er gesagt, als er die Habseligkeiten seiner Frau verteilte, »Dottie würde wollen, dass du es bekommst – was sollen ich und Frank junior auch mit einem Weihnachtsdorf anfangen?«
    Später war er dann wieder ganz der alte, machte den ›verrückten Schwestern‹ bittere Vorwürfe, sie hätten ›Dotties weltliche Habe‹ geplündert. Wie zu erwarten, gewannen die ›Sammelobjekte‹ seiner Mutter, die von allen immer als ›das Gerümpel im Keller‹ bezeichnet worden waren, sprunghaft an Wert – aber da waren sie bereits verschwunden. »Aufgeteilt«, wie Frank senior sagte.
    Kurz vor der Landung ließ der Eindruck einer Weihnachtsidylle nach, und als er von Bord ging, sah Frank, dass Hammerfest alles andere als vollkommen war. Der Schnee war

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